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Sotschi 2014 – Russlands EishockeySbor? Na ja

Die russischen Superstars hatten bei diesem Turnier wenig zu bieten. Alle, die die Owetschkins und Co. für verwöhnte Bürschchen hielten, behielten recht.

Jewgeni Malkin am Boden. Genau wie das russische Eishockey. Bild: ap

SOTSCHI taz | Die Sonne stand als ein roter Ball über dem Schwarzen Meer. Die russischen Fans gingen vom Ort der Schmach, dem Bolschoi-Dom, direkt in den Sonnenuntergang hinein. Sie waren nicht wütend oder aufgebracht. In einer Mischung aus Gleichmut und Fatalismus nahmen sie die Niederlage der Sbornaja hin. Erst zwei Minuten vor Spielende hatten sie angefangen, ihr Team lautstark auszupfeifen, als es nicht einmal mehr den Willen und auch nicht die Kraft hatte, zu einer Schlussoffensive anzusetzen.

Die Männer in Rot bolzten den Puck nur noch irgendwie nach vorne. Eine bestellte Goldmedaille hätte die Mannschaft abholen sollen, so wie die großen Vorbilder Makarow, Krutow und Larionow in den 80ern. Aber aus der Mission wurde nichts. Owetschkin, Malkin und Kowaltschuk können nur als unrechtmäßige Erben der goldenen Generation sowjetischer Puckjäger gelten, als Startruppe, die im entscheidenden Moment nichts drauf hat.

Die meisten Russen halten die NHL-Cracks, die in Nordamerika Unsummen verdienen, ohnehin für Versager. Verwöhnte Bürschchen seien das, die ohne Herz für ihr Land spielten. Die Kritiker haben nun recht bekommen. Die Finnen schmissen die Russen mit 3:1 bereits im Viertelfinale raus. Gegen die flinken und technisch versierten Skandinavier hatte der Gastgeber keine Chance. Die Russen wirkten wie grobe Waldschrate.

Der Wettbewerb

Halbfinale: Freitag, 13 Uhr, Schweden – Finnland;

Halbfinale: Freitag, 18 Uhr, USA – Kanada;

Finale: Sonntag, 13 Uhr.

Die Finnen spielten smart, verfolgten ihren „Game Plan“, die Russen hauten einfach nur drauf, ohne Plan und Verstand. Sie feuerten 38 Schüsse auf den Kasten des famosen finnischen Torhüters Tuukka Rask ab, die Finnen nur 22 auf das Tor der Russen, aber diese Statistik besagt eigentlich nur, dass der Sbornaja außer viel Krawumm und Knallerei nicht viel einfiel.

Kein Kollektiv auf dem Eis

Die russische Sportzeitung Sport-Express hatte vorm Duell in großen Lettern gefragt: „Haben wir eigentlich ein Team? Heute werden wir es erfahren.“ Die Antwort ist ziemlich einfach: Nein. Es war kein Kollektiv auf dem Eis, das unbedingt den Titel wollte. Zu viele Partikularinteressen hatten das Gemeinschaftsgefühl vergiftet.

„Das Problem war mal wieder, dass bei uns einzelne Personen das Spiel auf eigene Faust gewinnen wollten“, sagte Verteidiger Anton Below, ohne einen der Mitspieler beim Namen zu nennen. „Wir haben nicht zusammengespielt, sind nicht als Team aufgetreten. Das haben wir nun davon.“

Alexander Owetschkin, der als einer der wenigen russischen Spieler bei den Journalisten stoppte, fand deutliche Worte für seinen Gemütszustand: „It sucks.“ Er fühle sich leer, sagte der Spieler der Washington Capitals: „Es kotzt mich einfach an. Wir beginnen gut, schießen ein Tor. Und dann kosten uns zwei Fehler das gesamte Spiel.“

Kapitän Pawel Dazjuk entschuldigte sich beim Publikum für diese Schmach. „Ich weiß nicht, wie es weitergeht“, sagte er, „ich weiß nicht, wie lange ich an dieser Niederlage zu knabbern habe. Im Moment fühle ich in mir einfach nur eine große Leere.“

Entschuldigung.

Innerlich tot wirkte auch der Trainer der Russen, Sinetula Biljaletdinow, als er vor die Presse trat. „Ich kann mich nur bei den Fans entschuldigen, ich weiß, dass die Erwartungen andere waren“, sagte er in seiner kühlen Art. „Wir waren nicht erfolgreich.“

Wenn man ihn lasse, würde er gern weitermachen als Coach der Sbornaja. Die allgemeine Stimmung lässt eher eine Entlassung erwarten. Ein Kommentator des ersten russischen Fernsehens sprach von baldiger Rache – „aber nicht mit diesem Team“. Und wohl auch nicht mit diesem Trainer. Ein Kommentator der Zeitung Moskowska Komsomoljez schreibt die Niederlage der Ignoranz russischer Coaches zu: „Der Sachverstand unserer Übungsleiter ist nicht vergleichbar mit dem in Europa und Nordamerika.“

Die Sbornaja wollte den Niedergang des russischen olympischen Eishockeys in Sotschi vor den Augen von Premier Wladimir Putin beenden, aber die Negativserie hält an. In Nagano (1998) gewannen sie noch Silber, 2002 in Salt Lake City Bronze, in Turin sprang ein vierter Platz heraus, in Vancouver rutschte das einst so stolze Team auf Platz sechs ab. Jetzt wollen die gestürzten Helden nur noch weg aus Sotschi. Und Trainer Sinetula Biljaletdinow? „Ich verdufte auch lieber.“ Besser ist es wohl.

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