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Sonderstellung von Boxer Muhammad AliDie ganz Großen und ein noch größerer

Warum galt Muhammad Ali über seine Sportart hinaus als größter Athlet seiner Zeit? Und warum ist dieser Status heute ungleich schwerer zu erlangen?

Muhammad Ali im Kampf mit Floyd Patterson in Las Vegas im Jahr 1965 Foto: Granger Historical Picture/imago

E in paar Größte gibt es im Boxen: ihrer Gewichtsklasse, ihrer Community und natürlich GOAT, Greatest Of All Times, Größter aller Zeiten. GOAT wurde Muhammad Ali aber nicht nur durchs Boxen. In den Sechziger- und Siebzigerjahren war Ali der Sportler, auf den sich alle, nicht nur die Boxer, einigen konnten, wenn es darum ging, wer denn der Alpha ist, wer am meisten für die Athleten, für die Gesellschaft getan hat.

Warum Ali, warum Boxen, warum ein Amerikaner? Sortieren wir mal. Dass Billie Jean King nicht als Größte gilt, hat viel mit patriarchaler Ignoranz zu tun, denn Kings Engagement im Tennis – und für die ganze Gesellschaft – steht dem Alis nicht nach. Aber King musste mit Streiks für gleiche Prämien dafür kämpfen, ihren Sport überhaupt zu einer ernst genommenen Sache zu machen.

Warum aber wird nicht an Kareem Abdul-Jabbar gedacht, einer der ganz großen NBA-Stars? 1968, da hieß er noch Lew Alcindor, hatte er die Olympischen Spiele 1968 boykottiert. Wie Ali konvertierte er zum Islam, und im so auf Statistik fixierten Basketball hat er einiges zu bieten: sechsmal NBA-Meister, sechsmal MVP, also wertvollster Spieler, der Saison, und seinen Rekord von 38.387 Punkten in all seinen NBA-Jahren konnte erst vor zwei Jahren LeBron James knacken. Kurz: Wie Muhammad Ali ist Kareem Abdul-Jabbar einer der ganz Großen.

Was aber Boxen in den Sechzigern war, wurde das Basketball der NBA erst in den Neunzigern: ein globaler Sport, wahrgenommen, verfolgt und geliebt in der ganzen Welt. Der englische Historiker Eric Hobsbawm hat festgestellt, was für Filme, für Musik, für Comics und wohl auch für Muhammad Ali gilt: „Die Populärkultur der Welt war amerikanisch oder sie blieb provinziell.“ Für das Basketball der NBA aber gilt das, was Hobsbawm als einzige Ausnahme formulierte: der Sport.

Richtig gute Gegner

Es ist also kein Zufall, dass Ali, Abdul-Jabbar und auch Billie Jean King aus den USA kommen. Und es ist auch leicht zu erklären, dass nicht Abdul-Jabbar und King heutzutage als die ganz großen Weltstars wahrgenommen werden, die sie doch eigentlich sind, sondern eher ihre Nachfolger und Nachfolgerinnen: Michael Jordan, Magic Johnson, LeBron James beispielsweise oder im Tennis Martina Navratilova oder Venus und Serena Williams.

Warum aber Ali? Nicht zuletzt war es keine Teamsportart, in der Ali zur Weltklasse aufstieg. Und, das zählt auch sehr viel, er hatte Gegner, gute Gegner, gleichwertige Gegner. Boxer wie Sonny Liston, Joe Frazier oder George Foreman waren sportlich kein bisschen schlechter als Ali. Erst indem er sich gegen sie durchsetzte, konnte er ganz groß raus kommen. Was Ali von Frazier besonders unterschied, war, dass er seinen Sport politisch verstand. Seine Inszenierungen eines Boxkampfs als Aufstand der Unterdrückten gegen das US-Establishment waren etwas, das er singulär hatte. (King inszenierte ihren Sport als Aufstand gegen männliche Macht, was ähnliche Wirkung verdient hätte, aber damals nicht hatte.)

Und wo sind die Alis, Abdul-Jabbars oder Kings heute? Die Sportarten der drei sind mittlerweile noch globalisierter: Im Schwergewichtsboxen geben US-Boxer schon lange nicht mehr den Ton an, für das Tennis der Frauen (wie auch das der Männer) gilt das auch, und die NBA dürfte mittlerweile die globalste Liga der Welt sein. Ihre Stars kommen tatsächlich aus allen Kontinenten.

Schließt dieser Befund ein solchermaßen politisches und soziales Verständnis des Sports aus, wie es King, Abdul-Jabbar und Ali hatten? Natürlich nicht, aber es erschwert es. Stars müssen sich nicht mehr nur in der amerikanischen Sportkultur durchsetzen, die eben nicht mehr die übrige Welt dermaßen prägt. Sondern heutzutage müssen die Größten sofort die ganze Welt aufschrecken. Und damit bleibt Ali immer noch der Größte, bloß nicht mehr der aller Zeiten.

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Martin Krauss
Jahrgang 1964, freier Mitarbeiter des taz-Sports seit 1989
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