Sonderschule: Kritik am Ausschluss
Deutschland unterzeichnet Behindertenkonvention - und sperrt 86 Prozent besondere Kinder aus Regelschulen aus
Die behinderten Schüler bleiben in Deutschland weiter aus der Regelschule ausgesperrt. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Abgeordneten Ilja Seifert (Die Linke) hervor. Von knapp 484.000 SchülerInnen, bei denen eine Behinderung besondere integrationspädagogische Förderungen verlangt, fanden nur 68.000 Aufnahme in normale Schulen, das sind 14 Prozent. Hingegen sind 418.000 besondere Kinder in einer der vielen verschiedenen Sonderschulen untergebracht.
Damit verstößt die Bundesrepublik gegen die UN-Konvention über die Rechte Behinderter. Dort heißt es, dass Menschen mit Behinderungen "nicht vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden dürfen". Deutschland hat die Konvention im März unterzeichnet, aber noch nicht durch den Bundestag beschließen lassen. Im Bundesbildungsministerium hieß es dazu auf Anfrage: "Wir kennen diese Konvention nicht."
Die Kritiker des Sonderschulwesens erwarten, dass die Bundesrepublik die Konvention umsetzt. "Die Bundesregierung ist jetzt am Zug", sagte Marianne Demmer, Vizechefin der GEW, der taz, "sie muss erklären, wie sie die Konvention in Zusammenarbeit mit den Ländern umsetzen will." Demmer meint, dass die Formeln der Konvention es nötig machen, das Sonderschulwesen zu überwinden. Dazu müssen auch die Regelschulen umgebaut werden. "Eine Schule für alle muss wirklich eine Schule für alle sein."
Sonderschulen sind Spezialschulen für Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen. Sie reichen von geistiger Behinderung über Hör- und Sehfehler bis zu so genannten Lernbehinderungen. Nur ein Drittel der Sonderschüler ist indes wirklich behindert. Sechzig Prozent sind als Lernbehinderte oder Verhaltensauffällige eingestuft. Acht von zehn Sonderschülern erringen keinen Abschluss. Die Integrationsforscher in der Bundesrepublik fordern daher, das Sonderschulwesen aufzulösen.
In der Szene der Sonderpädagogen ist diese Forderung heftig umstritten. Viele Sonderschullehrer argumentieren, ihre Schule müsse dringend erhalten bleiben, weil die Sonderschule ein Schonraum für die betroffenen Schüler sei. "Bevor man die Förderschulen abschafft, muss man sich erst einmal Gedanken machen, wie man unsere Schüler an der Regelschule fördern kann und will", schrieb ein Sonderschullehrer der taz.
Ein anderer sagte, die Eltern schätzten das Klima an der Sonderschule, sie wollten ihre Kinder nicht in normale Schulen schicken.
Andere Eltern denken allerdings völlig anders. Sie wollen, dass auch stark beeinträchtigte Kinder etwa mit dem Down-Syndrom ins allgemeine Schulsystem integriert werden. "Unser Kind mit Down-Syndrom lernte in der Sonderschule für Kinder mit sogenannter geistiger Behinderung in einem Schuljahr zwei Buchstaben, im darauffolgenden Schuljahr im kooperativen Unterricht an einer Regelgrundschule das gesamte Alphabet", sagte eine Mutter der taz. "Dasselbe Kind bei derselben Lehrkraft im anderen Lernmilieu!"
Die Forscher haben in einer Reihe von Untersuchungen nachgewiesen, dass Sonderschulen sogar negative Auswirkungen auf den Erfolg der Schüler haben. Teilweise schrumpft ihr Intelligenzquotient. Der Integrationsforscher Hans Wocken nennt die pädagogische Atmosphäre an Sonderschulen daher "kognitive Friedhofsruhe". Beispiele aus der Praxis zeigen hingegen, dass es in Integrationsschulen sehr gute Erfolge gibt - selbst wenn besondere und normale Kinder hälftig gemischt werden. Die Waldhofschule in Templin (Brandenburg) etwa bringt Down-Kinder, geistige Behinderte und normale Schüler in einer Klasse zusammen. Dabei ändert sich der Lernstil vollkommen hin zu einer individuellen Förderung jedes einzelnen Schülers, die beiden Seiten gut bekommt. Die zweite Klasse der Waldhofschule lag bei den Vergleichsarbeiten im gerade zu Ende gegangenen Schuljahr deutlich über dem Landesdurchschnitt.
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