Sonderkommission zieht Bilanz: Serienmörder mit Spitzenzeugnis
Infolge mangelhafter Kontrollen konnte Pfleger Niels H. 90 Menschen ermorden. Die gesetzliche Verbesserung des Patientenschutzes aber droht zu scheitern.
Damit haben die polizeilichen und gerichtsmedizinischen Untersuchungen die eigenen Angaben des bislang nur wegen zweifachen Mordes verurteilten Niels H. bestätigt. Der Mann hatte sich im Knast als größten Serienmörder der deutschen Nachkriegsgeschichte bezeichnet. Auch vor Gericht hatte er pauschal 90 weitere Morde gestanden.
130 Verdachtsfälle bleiben ungeklärt
Soko-Leiter Arne Schmidt vermutet, dass sogar noch mehr Todesfälle auf sein Konto gehen. Die jetzige Zahl sei „die Spitze des Eisberges“, denn über 130 Verdachtsfälle habe man nicht weiter verfolgen können: Die Leichen waren eingeäschert worden.
Begangen hat Niels H. seine Taten von 1999 bis zu seiner Festnahme 2005 zunächst am Oldenburger, später am Delmenhorster Klinikum. Bereits in Oldenburg aber hätte er gestoppt werden müssen: „Im Klinikum Oldenburg wusste man um die Auffälligkeiten“, stellte der Oldenburger Polizeipräsident Johann Kühme am Montag klar. Tatsächlich war dort aufgefallen, dass immer, wenn H. Schicht hatte, die Zahl der Reanimationen und der Todesfälle in die Höhe schnellte.
Ursache: Niels H. spritzte den PatientInnen ein Medikament, das Herzrhythmusstörungen auslösen kann. Trat in der Folge ein Herzstillstand ein, versuchte sich H. an der Reanimation. Die betrieb er wie einen Sport: Er verschaffte sich Publikum, rief Lernschwestern zum Zuschauen, und ließ sich Erfolgsfall als Helden feiern. Bei Misserfolg gab es einen Toten.
Schließlich hat man ihn zur Kündigung überredet und ihm den Abschied durch ein Spitzenzeugnis versüßt, das ihn als „verantwortungsbewussten und interessierten Mitarbeiter“ beschreibt. In Delmenhorst fiel man darauf bereitwillig rein. Und ähnlich wie in Oldenburg hat man auch dort bei allen Auffälligkeiten tapfer weggeguckt: Sechs von Niels H.s dortigen Ex-KollegInnen sind bereits im Herbst angeklagt worden. In Oldenburg laufen die Ermittlungen noch.
Johann Kühme, Polizeipräsident
Das Klinikum Delmenhorst hat seither eine „qualifizierte Leichenschau“ eingeführt – also dafür gesorgt, dass – statt der behandelnden Ärzte – externe, rechtsmedizinisch geschulte SpezialistInnen begutachten, ob die Kliniktoten Spuren einer nicht-natürlichen Todesursache aufweisen. Das Pilotprojekt hatte unglücklicherweise anfangs selbst die Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen, weil es gegen Bestimmungen des niedersächsischen Leichengesetzes verstieß.
Neues Krankenhausgesetz wackelt
Mittlerweile hat Gesundheitsministerin Cornelia Rundt (SPD) da für Abhilfe gesorgt. Zugleich hat sie alle Krankenhäuser des Landes verpflichtet, PatientenfürsprecherInnen zu benennen. Die gewichtigste politische Reaktion auf die Mordserie droht nun allerdings auf der Strecke zu bleiben: Ende März hatte ihr Ministerium den lange erwarteten Entwurf für ein neues Krankenhausgesetz vorgelegt, seither wird er im Ausschuss beraten.
Darin vorgesehen ist die Einführung von Mortalitätskonferenzen, einer schärferen Kontrolle des Arzneimittelverbrauchs sowie eines Whistleblowing-Systems – lauter Maßnahmen, um, so Rundt, „in Krankenhäusern Gefährdungsmuster frühzeitig zu erkennen und etwaige Ursachen abzustellen“. Jetzt allerdings haben sich die Mehrheitsverhältnisse im Landtag verändert.
Zwar beteuerte Rundt, sie hoffe, dass diese Gesetzesinitiative noch im Landtag beraten und „wichtige Maßnahmen für einen verbesserten Schutz der PatientInnen“ ergriffen werden können. Ob CDU und FDP allerdings der Regierung mitten im Wahlkampf diesen Triumph gönnen, als Minderheit noch ein Gesetz durchgebracht zu haben, ist indes zweifelhaft. Und sei der Zweck auch noch so löblich.
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