■ SommerSchule: Gehirnwäsche
In der SommerSchule diskutieren LeserInnen die Zukunft von Schule und Hochschule.
Adornos Kritik an der Ausbildung junger Lehrer in Studienseminaren wird mittlerweile als historischer Text gelesen. Der Kritische Theoretiker erklärte in seinen „Tabus über den Lehrerberuf“, die Referendare würden in ihrer Ausbildung „gebrochen“. Jede persönlich Initiative werde ihnen geraubt in der auf die Universität nachfolgenden zweijährige Praxisphase. Heutige Referendarsausbilder verstehen sich gewissermaßen als Schüler und Verwirklicher Adornos – und empfehlen den Text ihren Schützlingen. Referendare können sich indes über diese Empfehlung nur wundern: Adornos Kritik am Studienseminar ist höchst aktuell.
Die innere Struktur des Seminars gleicht der anderer Institutionen. Die Ausbilderhierachie selbst ist durchzogen von Angst und Karrieresucht. Ihr ist das Prinzip einsträngiger „top- down“-Institutionen eigen: Die Referendare werden nicht „eingeweiht“ in die Strukturen. Erinnerungen an Kafkas „Schloß“ drängen sich auf.
Strenge Codes
Innerhalb des Seminars müssen die Referendare das Vokabular eines strengen Codes reproduzieren lernen – um funktionieren zu können. Der Unterricht muß stets „schüler- und handlungsorientiert“ sein. Die Sehnsucht der Ausbilder nach „Ganzheitlichkeit“ ist enorm groß. Lehrproben ohne Gruppenunterricht sind undenkbar. Das wichtigste Kriterium, festzustellen, ob ein Referendar gut funktioniert, stellt der Nachweis solcher codierter Kategorien dar. Unterrichtsstunden müssen die Figur einer vollendeten Maschine haben. Brüche, „Ausfälle“ des Unterrichts werden „repariert“, integriert. Es zeigt sich der ästhetische Glanz der „Unterrichtstechnologie“.
Dabei scheinen die methodisch-didaktischen Dogmatismen der Referendarsausbildung jeder Selbstreflexion zu entbehren. Die Glaubensgemeinschaft der Ausbilder schottet sich ab. Auf „political correctness“ wird Wert gelegt: Es heißt „Lerngruppe“ statt „Klasse“, „Unterrichtsstörungen“ statt „Disziplinprobleme“. Schon nach einem halben Jahr können die Referendare dieses Vokabular fehlerfrei benutzen. Es taucht in ihren schriftlichen Unterrichtsentwürfen auf, welche die metallenen Windungen der Ausbildergehirne abklopfen, um deren freudestrahlenden Bestätigungsfloskeln zu erlangen. Dann ertönt gewiß bald das ersehnte Bewertungskriterium der „Progression“, die jeder Referendar anstreben soll.
Am besten ablesbar ist dieser Fortschritt am einstudierten Vokabular der Unterrichtsentwürfe. Die sogenannten „Unterrichtsbesuche“ stellen meist totale Inszenierungen dar. Die Schüler lesen ihre Beiträge grinsend aus Drehbüchern ab. Die Stunden sind das Abbild eines minutiösen Rasters. Die Sehnsucht der Ausbilder nach Perfektion ist gestillt: „ganzheitlich!“ Es folgt die zweite Staatsexamensprüfung, danach wird man in die Stammesgemeinschaft aufgenommen und erhält Briefe, die mit „kollegialen Grüßen“ unterzeichnet sind.
Die Zeit des Referendariats wird von den meisten als ein Ausgeliefertsein an sinnlose Intitutionsspiele erfahren. Daß Kritik nicht formuliert wird, liegt an den gut funktionierenden Gehirnwäschemethoden. Kaum jemand spricht direkt, in der ersten Person – es sei denn in den Possesivphrasen „meine Schule, meine Klasse“. Dieses absurde Theater läßt sich noch schnell verdrängen, aber schon bald taucht eine andere dunkle Disziplinierungsmethode auf: Die Kritik an der Ausbildung könnte die Aussicht auf einen BAT-Vertrag versperren. Die angehenden Lehrer entwickeln geradezu Angst vor einem politischen Beziehungsgeflecht, das bis in die Ministerialbehörden reicht. Der Wunsch, die Ausbildung zu verändern, schwindet endgültig mit dem Versuch, eine der begehrten Planstellen zu ergattern. Verzweifelte Sprünge auf ein sinkendes Schiff.
Jeder neue Minister erklärt unterdessen Reformen für notwendig. Etwa die – jetzt geführte – Debatte, die Referendarszeit von zwei auf eineinhalb Jahre zu verkürzen. Eine Gespensterdiskussion, die primär ökonomisch motiviert ist – und zugleich durch pädagogisches Vokabular verschleiert wird. Jeder Referendar wird eine Verkürzung der als sinnlos erfahrenen Ausbildung nur begrüßen. Nils Björn Schulz
Der Autor hat gerade sein Referendariat in Hessen beendet. Beiträge an: cif@taz.de
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