piwik no script img

Sollen Grüne mit ihrer Erststimme SPD wählen...

■ ...um PDS-Erfolge zu verhindern? Dazu Marianne Birthler, grüne Direktkandidatin in Berlin

taz: Frau Birthler, fünf Tage vor der Bundestagswahl sagt der Vorstandssprecher Ihrer Partei: Grüne, wählt nicht die Birthler, sondern ihren Konkurrenten von der SPD. Fühlen Sie sich verraten?

Marianne Birthler: Nein, nicht verraten. Natürlich ist es in Ordnung, wenn Wähler ihre Stimmen auch unter taktischen Gesichtspunkten vergeben. Es ärgert mich aber, daß denen, die dem Rat von Jürgen Trittin nicht folgen, mangelnde Intelligenz attestiert wird. Es gibt auch Menschen, die selbst nach reiflicher Überlegung nicht bereit sind, ihre Überzeugungen der Wahlarithmetik nachzuordnen. Auch das ist zu respektieren.

Was heißt Trittins Appell für Ihren Wahlkampf? Bleiben Sie zu Hause bis zum 27. September?

Nein, ich kann unmöglich gleichzeitig Wahlkampf machen und signalisieren, ich möchte nicht gewählt werden. Wir hatten das übrigens schon 1994. Da hat unser Kandidat aufgerufen, einen anderen Kandidaten zu wählen. So was geht nach hinten los.

Es gibt ja viele Menschen, die bei ihrer Entscheidung keinen Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme machen. Sie werden durch solche Doppelbotschaften irritiert. Bei ihnen kommt an, jetzt rufen die Grünen auf, SPD zu wählen – und das kostet Zweitstimmen. Das kann man nicht machen.

Das heißt, Sie sind doch sauer auf Herrn Trittin?

Ich respektiere, daß Leute sich solche Gedanken machen.

Aber Herr Trittin hat sich nicht nur Gedanken gemacht, sondern einen klaren Appell ausgesprochen.

Sie werden mir jetzt keine Äußerung entlocken, aus der Sie eine Konfrontation machen können.

Aber die Zentrale macht mit ihrem Appell Politik auf dem Rücken der Kandidaten an der Basis.

Es wäre sicherlich wünschenswert gewesen, wenn sich die Bundesebene auch mit der Berliner Ebene verständigt hätte.

Warum ist das eigentlich nicht schon viel früher passiert?

Ich habe mich immer für eine Variante stark gemacht, in ausgewählten Wahlkreisen Konsenskandidaten aufzustellen. Das geht aber nur, wenn man einen rot-grünen Wahlkampf will – eine Idee, die in der SPD keine Chance hatte, weil man dort Wahlkreise als Erbhöfe wahrnimmt. Außerdem darf man so was nicht nur im Osten machen, sonst entsteht der Eindruck, hier soll einseitig eine Partei draußen gehalten werden. Das nehmen zum Teil auch Leute übel, die gar nicht zur PDS-Klientel gehören.

So ein Appell gefährdet also letztlich einen rot-grünen Wahlsieg?

Ich glaube, daß die Wirkung von solchen Appellen sehr schwer kalkulierbar ist.

Das heißt, man sollte sie unterlassen?

Ich unterlasse sie. Interview: Patrik Schwarz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen