■ Solidarität zum 7. Jahrestag des Tiananmen-Massakers: Holbachs Knoten
Baron Thiry d'Holbach hatte das Pech, kurz vor Ausbruch der Französischen Revolution zu sterben, so daß er die feierliche Proklamation der Menschenrechte nicht mehr mitfeiern konnte. Alllerdings ist ihm auch der nachfolgende „Große Terror“ erspart gebieben. Für Holbach, den Menschenfreund und Aufklärer, war es keine Frage gewesen, daß die Menschenrechte universell gelten sollten. „Die Menschlichkeit“, schrieb er, „ist ein Knoten, um den Bürger von Paris mit dem von Peking zu verbinden.“
Ein Zitat von bestürzender Aktualität – und eines, das eine Wahrheit ausspricht, die keineswegs selbstverständlich ist. Die vorherrschende Meinung unterstellt, daß der chinesischen intellektuellen Tradition eine universalistische Ethik fehlt. Individuelle Entscheidungen folgen demzufolge der Außenleitung, der Konvention. In einer Kultur, die wesentlich auf Scham und nicht auf Verantwortung gegründet sei, könne dies auch nicht anders sein. Von dieser Denkungsart ist es nur ein kleiner Schritt zu der bequemen Ansicht, die Chinesen seien halt anders, nämlich kollektivistisch, gestrickt. Menschenrechte müßten im kulturellen Kontext definiert werden. Anders vorzugehen hieße, den westlichen Standpunkt zu verabsolutieren und Kulturimperialismus zu betreiben.
Stimmte das, so wäre die chinesische Demokratiebewegung von 1989 nur ein importiertes Zierpflänzchen gewesen, dazu verurteilt, auf der chinesischen Erde zu verdorren, wäre es im Juni 1989 nicht sowieso zertreten worden. Gegen diese Auffassung spricht nicht nur die weit über kleine Intellektuellenzirkel hinausgehende Ausstrahlung der Demokratiebewegung, sondern auch ihre universalistische Zielsetzung. Es stand eben mehr auf dem Spiel als der systemkonforme Kampf gegen Korruption und Bürokratismus.
Können wir nicht, ganz ohne Rekurs auf das Naturrecht, als sicher unterstellen, daß kein Mensch auf dem Erdenrund sich gerne willkürlich verhaften, foltern, mittels einer Justizfarce verurteilen und anschließend – oft auf Nimmerwiedersehen – ins Arbeitslager transportieren läßt? Und ist es deshalb zuviel verlangt, wenn wir, unabhängig von aller „Kontextualität“, anläßlich des 7. Jahrestags des Tiananmen-Massakers die Bemühungen von amnesty international unterstützten und gegenüber den chinesischen inhaftierten Demokraten nach der alten, schönen polnischen Parole handelten: „Eure Freiheit ist auch unsere Freiheit!“? Christian Semler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen