: So waren sie, die Achtziger
Einer lässt sich einen blasen, ein anderer redet über das große Ganze: Edwin Brienens zeitloser Film „Terrorama“
Edwin Brienen bemüht sich in seinem Debütfilm „Terrorama“, aufs Ganze zu gehen. Es geht um Überschreitung; Sex, Philosophie, Freiheit, Gewalt. Sechs Menschen sind auf der Suche nach individueller Freiheit, losgelöst von allen Werten, jenseits von Gut und Böse quasi, und sie rauchen ständig Zigaretten. Das ist ja alles schön und gut, ein existenzialistischer Dauerbrenner, andererseits – nun ja – ist es auch ein bisschen uninteressant, um nicht zu sagen: studentisch.
Am Anfang spielt eine Band im Nazi-Outfit den Song „Hitler was a Speedfreak“. Am Rande steht so ein Achtzigerjahretyp mit Sonnenbrille und Nadelstreifenanzug und lässt sich einen blasen. Man sieht das aber nicht richtig. Die reden dann komisches Poserzeug. Der eine zum Beispiel, wie er eine Deutsche kurz vor Berlin hatte lecken sollen und dabei eigentlich das Leder von den Sitzen besser fand. Oder handelsüblich Philosophisches von Nietzsche, de Sade oder Manson; um das große Ganze zu erreichen, müsse man das kleingeistige und behindernde Mitleid abstellen. Ansonsten leben wir in einem Konzentrationslager bzw. in einer Intensivstation mit Gott als Anästhesist. Bla. Bla. Bla.
Der Regisseur hat zu viel Zeit in einem kirchlichen Kindergarten verbracht. Alles wirkt sehr theatralisch und expressionistisch. Einer liegt in der Gosse und streut Speed auf seine offenen Armwunden. In einem Vorgarten fickt ein Nikolaus eine Frau von hinten. Ein Mann im Jesuskostüm mit Dornenkrone onaniert dazu auf sein Kreuz. Später entführen Terroristen einen älteren Fernsehmoderator und treiben verworfenen Schabernack. Man ist gewalttätig; auch Pulsadern werden zerschnitten. Es ist aber nicht düster, schrecklich, verzweifelt wie etwa bei Pasolini oder einigen harten japanischen Undergroundfilmen, nicht wirklich existenziell psychotisch wie bei dem holländischen Regisseur Cyrus Frisch, sondern nur Gepose. Man erschrickt nicht vor dem, was schockierend sein will in dem Film, sondern eher darüber, dass er so zeitlos wirkt – wenn man’s nicht wüsste, würde man denken: Nun ja, so waren die Achtziger halt.
„Über die Publicity für den Film kann ich mich nicht beschweren“, sagt der Regisseur. „Über Wochen schrieben die holländischen Massenblätter über Drogenmissbrauch am Set und wie ich Kiki Claasen, eine in den Niederlanden bekannte und angesehene Schauspielerin, zwang, pornografische Szenen zu spielen.“ Der Regisseur lügt auch noch zu Reklamezwecken! Die einzigen pornografischen Szenen des Films werden von Männern gespielt und sind onanistischer Natur. Außerdem heißt es im Presseheft, Edwin Brienen sei Augenzeuge des Anschlags aufs WTC gewesen! „Er hielt sich in Amsterdam und New York auf und lebt zurzeit in Berlin. Gerade abgedreht wurde in Berlin sein zweiter Film ‚Lebenspornografie‘. Zudem arbeitet er an ‚Liebe Mih‘, seinem dritten Filmprojekt.“ Ach, ist das alles doof und streberhaft! DETLEF KUHLBRODT
„Terrorama“. Regie: Edwin Brienen. Mit Kiki Classen, Peter Post u. a., Niederlande 2000. Heute und morgen, 22 Uhr, Brotfabrik, Prenzlauer Promenade 3, Weißensee