So viel Kritik muss sein: Lotta Drügemöller über „Die Wahl“: Null Raum für Unausgesprochenes
Gewalt und Parteipolitik und Alkoholismus und Minderheiten und Krankenhausschließungen und Frauen und Männer – wenn Regisseur Oliver Stein davon spricht, es habe im Ensemble „verschiedene Prioritäten zu den Aussagen des Stückes“ gegeben, wundert das nicht. „Die Wahl“ ist wie ein großes Buffet mit mehr oder weniger relevanten Themen, bei dem sich jeder etwas aussuchen kann. So richtig zu Ende gedacht allerdings ist keines der einzelnen Elemente.
Die Shakespeare-Company hat zuletzt mehrfach zeitgenössische Stücke aus Großbritannien nach Deutschland geholt. „Die Wahl“ ist die deutsche Uraufführung von David Hares „I’m not running“. Auf fünf Zeit-Ebenen erzählt es die Geschichte von Pauline Gibson, die als junge Ärztin für den Erhalt eines Krankenhauses kämpft. Aufgrund ihrer Beliebtheit wird sie als unabhängige Kandidatin in den Bundestag gewählt (etwas, das im echten Bundestag noch nie vorgekommen ist). Und schließlich soll sie sogar den Vorsitz einer nicht mehr ganz großen Volkspartei übernehmen – ein harter Brocken für ihren Ex-Geliebten, der auf dieses Ziel seit Jahrzehnten ehrgeizig hingearbeitet hat.
Auch wenn die Geschichte thematisch überladen ist, könnte es doch Spaß machen, vor allem den Frauen dieses Stücks beim Leben und ihrem politischen Kampf zuzuschauen. Sehr körperlich und überzeugend spielt Petra-Janina Schultz, die als junge Pauline wild im Bad rockt und durch ihre Wohnung springt und als 20 Jahre ältere Version gelassen den Ansturm der Presseanfragen übersteht. Spaß machen könnte es auch zu sehen, wie sie interagiert mit Sofie Alice Miller, die ihrer Rolle der jungen Politikwissenschaftlerin Wani eine Mischung aus Ehrgeiz, großer Ernsthaftigkeit und Unsicherheit verleiht.
Die Sympathie zwischen diesen beiden Charakteren ist ohne Worte ersichtlich – doch leider vertrauen Drehbuch und Regie dem Spiel allein nicht genug. Jedes Gefühl, jede zwischenmenschliche Beziehung wird dekliniert und ausdiskutiert. Sätze wie „Sie hat dich an dich selbst erinnert“ rauben den letzten Raum für Interpretationen. Was auch immer in „Die Wahl“ passiert, das wird auch ausgesprochen – und das noch dazu in quälend langen Dialogen.
Wieder: 30. 11., 19.30 Uhr im Theater am Leibnizplatz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen