Skultpur: Beinchen, die es sich bequem machen
Robert Gober richtet seine Aufmerksamkeit auf das häusliche Umfeld: die Spüle, Geschirr im Abtropfgestell. Zur Werkschau des amerikanischen Künstlers im Schaulager Basel.
I n Robert Gobers großer Werkschau im Basler Schaulager ergeht es einem ähnlich wie der von Laura Dern gespielten Hauptfigur in David Lynchs "Inland Empire". Mit jedem Raum eröffnet sich ein unbekanntes, oft auch beunruhigendes Szenario, hinter jedem "Eingang" - in der Ausstellung sind es meist Gullydeckel oder auch Abflüsse - verbirgt sich eine neue rätselhafte Wirklichkeit. Neben seiner Vorliebe für Öffnungen verschiedenster Art teilt Gober mit Lynch auch die Obsession für das Unbewusste und Traumatische.
Gleich im ersten Raum wird man durch eine Lichtquelle und den Sound sanften Plätscherns in Richtung zweier gegenüberliegender Türen geführt. Sie stehen jeweils nur einen Spalt weit offen und lassen auf ein hyperreales Setting blicken: ein männlicher beziehungsweise ein weiblicher Unterkörper in einer Badewanne, die Beine entspannt aufgestellt, der Wasserhahn läuft, eine Zeitung liegt auf dem Fußboden. Die Situation ist in ihrer Alltäglichkeit so harmlos und banal - oder mit Freud gesprochen "längstvertraut" -, dass sie sich ins Unheimliche verkehrt. Ebenso wie bei Duchamps letzter, installativer Arbeit "Étant donné", die einen nackten Frauenkörper durch zwei Gucklöcher optisch fragmentiert, macht das Ausschnitthafte dieser Inszenierung den Zuschauer zwangsläufig zum Voyeur.
Gobers immer wiederkehrende Themen - Kindheit, Sexualität, das Verborgene und Verdrängte - sind nicht immer so offensichtlich und beispielhaft in Szene gesetzt worden wie in dieser Arbeit, die Teil einer größeren Installation ist. Denn bekannt wurde der 1954 geborene amerikanische Künstler, der seit gut dreißig Jahren in New York lebt, Anfang der Achtzigerjahre durch seine formal reduzierten Waschbeckenobjekte.
Die maßstabsgetreuen Nachbildungen hatten klassische Abwaschbecken zum Vorbild, wie man sie in amerikanischen Küchen und Arbeitsräumen vorfindet. Selbst wenn die "Sinks" wie auch die folgenden "Urinals" auf den ersten und flüchtigen Blick erneut an Duchamp erinnern - insbesondere an das 1917 entstandene Pissoirbecken "Fountain" -, sind sie alles andere als Readymades. Sie sind im Gegenteil durch und durch Handmade. Aus Gips gefertigt und mit einer matten Emailfarbe angestrichen, geht diesen Alltagsobjekten das Industrielle der Pop-Art vollkommen ab. Zudem verleiht ihnen das Fehlen von Armaturen und Abflussöffnungen anthropomorphe Züge, denn an den entsprechenden Stellen befinden sich runde Löcher, die einen wie Augen anstarren. Schon bald hat Gober damit begonnen, das Formenvokabular der Spülbecken in verschiedenen Variationen durchzuspielen und bediente sich dabei einer Methode der Minimal Art, wobei die Ergebnisse mehr mit Surrealismus zu tun haben. Die "Sinks" wurden gedreht, gedehnt, verzerrt, gespiegelt, umgestülpt, über Eck gehängt oder direkt unter der Decke installiert, bis ihre ursprüngliche Form nahezu nicht mehr erkennbar war.
In der Ausstellung ist unter anderen dieses schon im Verschwinden begriffene Modell zu sehen: "The Basinless Sink" ist nicht viel mehr als eine an der Wand montierte Platte, nur die abgerundeten Ecken erinnern noch an das Original. Eine ebenso formale Tortur haben Gobers "gefaltete" Türen hinter sich. Ihre Materialität wurde schlichtweg ignoriert, sie wurden wie Papier behandelt.
Gobers Skulpturen - in der Ausstellung sind es rund vierzig - sind derart assoziationswütig, dass sie sich gegenseitig noch zusätzlich aufladen. Auch als Einzelstücke verbinden sie sich ganz automatisch zu räumlichen Inszenierungen und bilden eine eher lose Variante im Vergleich zu den mehrteiligen, bis ins kleinste Detail durchkomponierten Rauminstallationen, die teilweise mit großem Aufwand im Schaulager rekonstruiert wurden. Erstmals zu sehen sind außerdem frühe Fotografien und Bleistiftzeichnungen, in denen sich bereits die Aufmerksamkeit für das häusliche Umfeld zeigt: Geschirr auf einem Abtropfgestell, eine Ansammlung von Putzmitteln - scheinbar lapidare Momentaufnahmen. Gobers gezielte Beschäftigung mit Reinigung und Hygiene, die nicht nur die Serie der "Sinks", sondern auch seine Objekte mit Abflussöffnungen, Leitungsrohren und Kleenexschachteln ausmacht, lässt sich auch vor dem Hintergrund der Aidskrise der späten Achtzigerjahre verstehen. Auch wenn Gober seine Homosexualität nie zum direkten Ausgangspunkt seiner Kunst gemacht hat, sind seine Erfahrungen mit der aufkommenden Ansteckungshysterie, mit Ausgrenzung und Tod unmittelbar spürbar.
Gemeinsam ist Gobers Skulpturen - von den "Sanitärobjekten" bis hin zu den Möbelstücken wie Betten, Sesseln, Hundekörben -, dass der Körper gerade in seiner Abwesenheit merkwürdig präsent ist. Besonders offensichtlich ist dies bei der Serie von Laufställen, die mit zu Gobers schönsten und auch lustigsten Arbeiten gehören. "X Crib" (1987) etwa ist ein besonders groteskes Modell, das als Disziplinierungsmaßnahme nur versagen kann. Durch die Kreuzung der gegenüberstehenden Gitterwände haben sich die entstandenen Flächen derart verkleinert, dass ein Kleinkind nicht mal mehr stehend darin Platz finden könnte.
Ende der Achtzigerjahre tritt dann der Körper doch noch in Erscheinung, als Fragment zwar, aber realistisch und maßstabsgetreu aus Wachs nachgeformt. Ein Brustkorb hat sich in einem Plastikkorb ausgebreitet, ein androgyner Oberkörper steht wie ein zusammengesunkener Mehlsack abgestellt in einer Ecke. Zu Gobers Markenzeichen werden aber vor allem seine "singular legs", aus der Wand ragende einzelne Beine, die direkt auf dem Ausstellungsboden aufliegen. Zwischen Socke und Hose fällt der Blick auf die nackte, behaarte Haut. Das feststeckende Bein hat etwas Klägliches, erinnert es doch an das Fehlen eines vollständigen Körpers. Es finden sich aber auch weniger naturalistische Körpermodelle, die Ähnlichkeit mit Magrittes Bildwelten haben: Mutationen mit Kerzen oder ein Unterleib, der mit Abflusslöchern versehen ist.
Nach der Überproduktion an psychoanalytischem Material in den Arbeiten der Neunzigerjahre ist Gober nach fast zwanzig Jahren wieder zu dem Motiv des Waschbeckens zurückgekehrt. In "Untitled" (2006/2007) verschmilzt es mit einem Bretterverschlag - auch hier findet sich kein Abfluss, dafür ein Vogelnest mit blauen Eiern. Zu den obskursten Arbeiten im Schaulager gehört jedoch eine Installation, die eigene Werke mit einer Auswahl aus der Menil Collection verbindet. Gober war vor zwei Jahren eingeladen worden, dort eine Ausstellung zu kuratieren. Neben einem sehr bizarren Topflappen aus dem Jahr 1860, der mit dem Wortspiel "Any Holder But a Slave Holder" bestickt ist, finden sich unter anderem auch eine aufgeschlitzte Leinwand von Lucio Fontana, anatomische Studien von Eugène Delacroix und fragmentarische Objekte aus der religiösen und profanen Kunst. Gobers makabrer, mit Kinderbeinchen angefüllter Kamin ("Untitled", 1994-95) ist in diesem Kunst- und kulturgeschichtlichen Sammelsurium in bester Gesellschaft.
Bis 14. Oktober, Katalog (Steidl Verlag, Göttingen), 64 CHF
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