: Sklavenarbeit bei der Baumwollkämmerei
■ Polnische Zwangsarbeiterin wandte sich mit der Bitte um Entschädigung an grüne Abgeordnete / Jahrelanger Weg durch die Gerichtsinstanzen blieb ohne Erfolg / BWK-Geschäftsführung warf Anfrage in den Papierkorb und feierte Bilanzerfolge
„Sie gehören zu der neuen, jungen Generation von Deutschen. Für Sie ist das, was ich schreibe, Geschichte, aber für mich ist es ein tragischer Abschnitt meines Lebens. Ich werde diese schrecklichen Jahre in Bremen nie vergessen.“ Helena Tolkowiec, die Anfang dieses Jahres an die grüne Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck-Oberdorf schrieb, hat Bremen von seiner finstersten Seite kennengelernt: Von März 1941 bis April 1945 mußte sie als junges Mädchen für die Bremer Wollkämmerei in Blumenthal arbeiten. „Das sind vier Jahre harte Sklavenarbeit in Deutschland“, schreibt sie und bittet um Unterstützung für den Versuch, jetzt endlich über 40 Jahre danach - zumindest eine finanzielle Entschädigung für die Fron zu bekommen.
Helena Tolkowiec schreibt: „Ich wurde als ein junges, unverheiratetes Mädchen im März 1941 von der Gestapo und der Polizei gezwungen, mein Haus, meine Familie und meine Stadt Inowroclaw zu verlassen. Zusammen mit vielen anderen polnischen Mädchen wurde ich mit dem Zug nach Bremen transportiert. Die Arbeitsbedingungen in der Bremer Wollkämmerei waren schrecklich hart. Die Firma ließ
Tag und Nacht arbeiten, produzierte Wollwaren ausschließlich für die Wehrmacht. Die ganze Zeit arbeitete ich zwölf Stunden am Tag, nur ein Sonntag im Monat war arbeitsfrei. Zu essen gab es Hungerrationen. In der Fabrik arbeiteten über 1.000 Menschen: Vor allem Polinnen, aber auch Französinnen, Belgierinnen und Italienerinnen. Alle polnischen Frauen waren in Baracken bei der Albrechtstraße kaserniert und wurden über Nacht eingeschlossen.“
Doch nach der Befreiung durch die US-Amerikanische Armee war die Leidensgeschichte der Helena Tolkowiec noch nicht zu Ende. Denn jetzt versuchte sie, auf dem langen Weg durch die Instanzen bundesdeutscher Gerichte ihr Recht auf eine Entschädigung für die Sklavenarbeit zu erstreiten: „Durch die Zwangsarbeit in Bremen verlor ich meine Gesundheit für immer. Unglücklicherweise wiesen alle deutschen Gerichte meine Forderungen ab, mir eine finanzielle Entschädigung zu bezahlen.“ Doch gleichzeitig hätten ihre französischen Freundinnen, die ebenfalls in der Bremer Wollkämmerei arbeiten mußten, alle eine Entschädigung bekommen. „Warum werden wir polnischen Arbeiter, die als erste
von der Hitlerregierung nach Deutschland deportiert worden sind, von der Bundesregierung diskriminiert?“ fragt Helena Tolkowiec die grüne Abgeordnete.
Schließlich weist sie darauf hin, daß ihr Anspruch nicht verjährt: „Mein Mann und ich sind vor zwei Jahren in Rente gegangen und müssen nun von einer kleinen Pension leben. Das Leben in Polen ist nicht so leicht, und ich denke immer an die finanzielle Entschädigung.“
Viel Hoffnung auf eine staatliche Entschädigung für die Zwangsarbeit konnte Marieluise
Beck-Oberdorf in ihrer Antwort nicht machen. Schließlich ist sowohl in Bonn als auch in Bremen das Thema immer wieder vertagt worden. Doch dafür wandte sie sich direkt an die Bremer Wollkämmerei, die gerade eine positive Ertragsbilanz für das erste Halbjahr '88 vorgelegt hatte und sich selbst als „weltweit zweitgrößter Betrieb in dieser Branche“ feierte. „Eine freiwillige Zahlung, die zwar keine 'Wiedergutmachung‘, aber dennoch ein Zeichen des Bewußtseins über die geschichtliche Verantwortung wäre, erschiene mir angebracht“,
schrieb daraufhin die Abgeordnete Beck-Oberdorf an die Geschäftsführung der Wollkämmerei und legte den Brief der polnischen Arbeiterin bei.
Das war am 22. Mai. Bis heute kam von dem Unternehmen keine Reaktion, auch eine telefonische Nachfrage Ende August blieb ohne Wirkung. „Für Sie ist das, was ich schreibe, Geschichte“, hatte Helena Tolkowiec an Marieluise Beck -Oberdorf geschrieben, „aber für mich ist es ein tragischer Abschnitt meines Lebens.“ Für die Bremer Wollkämmerei, an deren aktuellem Reich
tum die im Nazi-Deutschland gepreßten Zwangsarbeiterinnen mitgewirkt haben, ist es ein Vorgang für die „Ablage P“, den Papierkorb. Daran konnte auch der Hinweis der grünen Bundestagsabgeordneten an den Geschäftsführer nichts ändern: „Das Schicksal von Frau Tolkowiec zeigt, daß es nie einen Abschluß unter die NS-Zeit geben wird, und wir mit unserer Geschichte immer wieder konfrontiert werden, selbst wenn wir einer Generation angehören, die nicht mehr unmittelbare Zeitgenossen gewesen sind.“
Dirk Asendorpf
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