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Skigebiet im NordkaukasusTourismus gegen Terror

Russlands Premier will im Nordkaukasus ein Skigebiet bauen lassen. Es soll Millionen Touristen anlocken. Die Sicherheitslage bleibt prekär.

Bombenanschlag im Mai 2013 in Machatschkala, Hauptstadt der russischen Teilrepublik Dagestan. Bild: dpa

BERLIN taz | Bauverzögerung, horrende Kosten, Zwangsenteignungen, Ausbeutung der Arbeiter, Korruption und die Zerstörung der Umwelt brachten den Bau der Sportstätten für die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi in die Schlagzeilen. Sotschi 2014 ist nicht das einzige Megaprojekt in der Region. Im Rahmen von „Gipfel 5642“ sollen im Nordkaukasus bis 2020 gigantische Skiressorts entstehen.

Geleitet wird das ganze Vorhaben von der Firma Nordkaukasische Skizentren, einem eigens für das Projekt gegründeten staatlichen Unternehmen. Damit soll der Tourismus Einzug halten in eine Region, die von anhaltenden Konflikten geprägt ist. In den blutigen Auseinandersetzungen stehen sich islamistische Gruppierungen und der russische Staat gegenüber. Allein von Anfang 2012 bis Mitte 2013 kamen in der Region rund 1.000 Menschen durch Anschläge und Gewalttaten ums Leben. Die Anzahl ziviler Opfer nimmt stetig zu. Betroffen sind vor allem die Republiken Tschetschenien, Dagestan und Inguschetien.

Die Gewalt im Nordkaukasus hat auch sozioökonomische Gründe. Armut und politische Krisen sorgen bei den dort aktiven islamistisch-fundamentalistische Gruppen für Zulauf. Zuletzt machten sie durch die Anschläge von Wolgograd im Dezember 2013 auf sich aufmerksam, bei denen 29 Menschen starben. Das selbsternannte Oberhaupt des 2007 ausgerufenen „Kaukasischen Emirats“, Doku Umarow, hatte militante salafistische Gruppen aufgefordert die Olympischen Spiele um jeden Preis zu stören. Der Tschetschene ist Russlands meistgesuchter Terrorist.

Die Region ist eine der wirtschaftlich schwächsten Russlands, 75 Prozent des jährlichen Budgets kommen aus Moskau. Die Arbeitslosenquote liegt zwischen 20 bis 30 Prozent. Der Lebensstandard in der Region ist deutlich niedriger als in anderen Teilen Russlands. Um die Probleme von Moskau aus besser in den Griff zu bekommen, wurde 2010 der Föderationskreis Nordkaukasus gegründet, zu dem die autonomen Republiken Dagestan, Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Karatschai-Tscherkessien, Nordossetien-Alanien, Tschetschenien und die Region Stawropol gehören.

1.000 Kilometer Piste und 228 Skilifte

Im gleichen Jahr rief Dmitrij Medwedjew, der damals Präsident der Russischen Föderation war, das Gipfel-5642-Projekt ins Leben. Fünf neue Skigebiete sind geplant. Über 1.000 Kilometer Piste und 228 Skilifte sollen Touristen aus aller Welt anlocken. Jährlich werden fünf Millionen Gäste erwartet. Das Projekt soll der strukturschwachen Region Nordkaukasus einen Wirtschaftsaufschwung bringen.

Doch ähnlich wie beim Großprojekt Sotschi 2014 läuft auch bei Gipfel 5642 nicht alles rund. Verantwortlich für die Umsetzung war Ahmed Bilalow, Exvizepräsident des russischen Olympischen Komitees, der selbst aus Dagestan kommt. Bilalow fiel in Ungnade, als die Kosten für die Skisprungschanze in Sotschi explodierten. Als Präsident Wladimir Putin bei einer Besichtigung der Anlage nach dem Verantwortlichen fragte, erfuhr er: „Genosse Bilalow“.

Damit war Bilalows Schicksal besiegelt. Zuerst verlor er seinen Posten als Leiter der Firma Nordkaukasische Skizentren, dann wurde ein Strafverfahren wegen Veruntreuung gegen ihn eingeleitet. Vor seiner Flucht aus Russland sei er mit Quecksilber vergiftet worden, sagte Bilalow, von wem wisse er nicht. Bis zum Ende der Spiele harrt er in Großbritannien aus, danach will er nach Russland zurückkehren.

Das Projekt Gipfel 5642 geht derweil weiter. Es mangelt jedoch noch an Investoren. Das Investitionsvolumen ist mit 15 Milliarden Dollar veranschlagt. Der Großteil davon soll aus dem privaten Sektor kommen. 400.000 Arbeitsplätze sollen bis 2025 in der Region geschaffen werden – davon 100.000 im Tourismus. Hotels mit 90.000 Betten sollen für die erwarteten Touristen bereitstehen. Das Bruttoinlandsprodukt des Föderationskreises Nordkaukasus soll nach den Plänen der russischen Regierung fast verdreifacht werden.

Strategische Kehrtwende

Moskau will damit den Islamisten den Wind aus den Segeln nehmen. Eine weitere Ausbreitung des Konflikts auf benachbarte Regionen möchte man vermeiden und stattdessen die Region befrieden. Strategisch ist das eine Kehrtwende. Bisher wurde jeder Widerstand gewaltsam niedergeschlagen, was die aufständischen Gruppen jedoch nur noch weiter radikalisierte.

Wie in den neuen Tourismuszentren für Sicherheit gesorgt werden soll, ist fraglich. Zur Zeit sind in der Region 30.000 Soldaten der 49. Armee stationiert. Ob sie in der Lage sind, auch nach dem Abzug der 70.000 zusätzlichen Sicherheitskräfte, die bei den den Olympischen Winterspielen eingesetzt sind, die Kontrolle zu behalten, weiß niemand. Wie das ehrgeizige Vorhaben ausgehen wird, lässt sich nur schwer abschätzen.

Als Alternative zu gewaltsamer Unterdrückung ist das Projekt auf jeden Fall zu begrüßen. Medwedjew äußerte sich bei dem Weltwirtschaftforum in Davos 2011 optimistisch: „Es wird uns zeigen, dass man Armut und Terrorismus durch Tourismus bekämpfen kann. 2014 wird die Welt nach Sotschi kommen, und wir möchten, dass sie wieder kommt.“

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1 Kommentar

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  • "Die Gewalt im Nordkaukasus hat auch sozioökonomische Gründe." - Lieber Herr Schmaltz, was wären denn die anderen Gründe und warum nennen Sie diese nicht? Zumindest die stalinschen Deportationen der Tschetschenen und Inguschen hätten sich am Vorabend ihres Jahrestages (23.2.1944)doch wohl erwähnen lassen, finden Sie nicht?