Skaten bei Olympia: Fett mit Brett
Yuto Horigome möchte eine olympische Medaille im neuen Skateboard-Wettbewerb gewinnen. Die nötige Gelassenheit dafür hat der Japaner schon mal.
Im neu geschaffenen Ariake Urban Sports Park werden an diesem Wochenende erstmals olympische Skateboardwettbewerbe ausgetragen, und es ist gut möglich, dass von dieser Stelle aus doch noch erste Funken olympischer Begeisterung in die Wohnzimmer der japanischen Haushalte übertragen werden. Denn der Gastgeber kann zur Premiere einige Medaillenkandidaten ins Rennen schicken. Horigome ist darunter der lokale Held. Olympia im eigenen Land sei schon sehr speziell, sagte er diese Woche. „Aber zudem befindet sich das Stadion im Stadtteil Kōtō, aus dem ich komme.“
In den Parks hier hat er seine ersten Tricks im Alter von sieben Jahren von seinem Vater, ebenfalls einem passionierten Skateboarder, beigebracht bekommen, bevor er dann mit 18 Jahren in die Welthauptstadt der Rollbrettkünstler nach Los Angeles zog, um sich mit den Besten messen zu können. In der Skaterszene war der Wettbewerbsgedanke lange verpönt und eine Eingliederung in die olympische Familie unvorstellbar, weil man sich seiner eigenen Freiheiten nicht berauben lassen wollte. Es wurde davor gewarnt, die eigene Identität, die insbesondere auf das jüngere Publikum eine große Anziehungskraft ausübt, an die olympischen Funktionäre zu verkaufen.
Ein großer Teil der Szene, zu der Horigome zählt, versteht dagegen nicht, warum man sich den Wachstumschancen verschließen sollte. Dass durch den coronabedingten Ausschluss der Zuschauer der Wettbewerb nun in steriler Reinform dargeboten wird, ist aber auch für Horigome keine schöne Vorstellung. Bevor diese Entscheidung getroffen wurde, sagte er: „Es gibt immer noch einen Unterschied zwischen dem Liveerlebnis und dem Fernsehen, also möchte ich, dass so viele Leute wie möglich es persönlich sehen.“
Wider den Dominator
Jetzt, da das erste Date zwischen den Skateboardern und den Olympiafreunden geplatzt ist, wird nur das TV-Publikum sehen können, wie lässig und geschickt die japanische Medaillenhoffnung am Sonntag in der Disziplin Street einen Parcours aus Bänken, Treppen, Bordsteinen und Mauern meistert. Seit 2019 steht er in der Weltrangliste an zweiter Stelle. Der Star der Szene ist nach wie vor der US-Amerikaner Nyjah Huston, der schon 2006 im Alter von elf Jahren als jüngster Teilnehmer der X-Games in die Geschichte einging und seither 18 Medaillen beim bedeutendsten Skaterevent einfuhr.
Dass Horigome in der Lage ist, Huston zu bezwingen, hat er Anfang Juni bei der Skateboard-WM in Rom bewiesen, die zugleich der Qualiwettbewerb für Olympia war. Er gewann den Titel knapp vorm großen Favoriten und erklärte hernach: „Das gibt enormes Selbstvertrauen. Es ist etwas Besonderes, den derzeit besten Skateboarder hinter mir gelassen zu haben.“
Sollte ihm das am Sonntag bei seinem Heimspiel in Tokio erneut gelingen, dürfte dies der einheimischen Skaterszene, die Horigome als sehr familiär und besonders beschreibt, einen weiteren Schub verleihen. Ohnehin ist die Skateboardbegeisterung in Japan groß. Auch bei den Frauen-Wettbewerben stehen am Samstag die Chancen auf japanische Erfolge gut. Aori Nishimura tritt ebenfalls als Weltmeisterin beim Street-Wettbewerb an wie die WM-Zweite Momiji Nishiya, die erst 13 Jahre alt ist.
Ein Problem könnten die großen Erwartungen der eigenen Landsleute für die Psyche im Wettkampf werden. Wobei Yuto Horigome eine Gelassenheit zeigt, die man von einem Skateboarder erwartet. „Ich habe keine Strategie. Ich werde einfach skaten, meine Tricks zeigen und wenn ich sie gut mache, wird eine Medaille möglich sein.“ Horigome neigt wirklich nicht dazu, aus seinem Sport eine Wissenschaft zu machen. Als er gefragt wurde, wie er seinen Stil auf dem Brett beschreiben würde, antwortete er: „Ich will einfach nur Spaß haben.“ Ein Satz, der die Hüter der Olympischen Spiele, die um jüngere Fans buhlen, verzücken wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin