: Skateistan im Plattenbauviertel
AFGHANISTAN Seit fast 9 Jahren läuft am Hindukusch der Wiederaufbau durch den Westen. Schon die Sowjetunion hatte sich daran vergeblich versucht. Die Probleme gleichen sich
AUS KABUL AGNES TANDLER
„Russischer Stahl. Sieht immer noch aus wie neu“, sagt der junge Bauleiter aus Deutschland. In der staubigen Erde am Fernseh-Hügel in Kabul sind dicke Rohre zu sehen, die Teile der afghanischen Hauptstadt seit 30 Jahren mit Wasser versorgen. Als die Sowjetunion 1979 das Land am Hindukusch besetzte, startete sie eine ganze Reihe von Aufbauprojekten, die heute noch sichtbar sind: Plattenbausiedlungen, Kulturzentren und Schulen. Die Sowjetunion zog ab, mit ihnen die Arbeiter, die Baustellen und Pläne. Der Bürgerkrieg kam, dann die Taliban, eine neue Intervention und mit ihr neue Aufbaupläne. Die Arbeiten für die Wasserversorgung sind wieder im Gange. Diesmal baut der Westen.
„Es war verrückt von ihnen, hierher zu kommen“, sagt Wadir Safi, Rechtsprofessor an der Universität Kabul über die sowjetische Invasion. „Sie hatten die Gesellschaft Afghanistans nicht studiert.“ Er sitzt an seinem Schreibtisch in dem neuen Trakt, der vor kurzem mit US-Mitteln fertiggestellt wurde. Der Rest der Universität stammt aus der sowjetischen Epoche des Landes.
Genau wie die Plattenbauten im Stadtteil Makrorayan. Die Siedlung ist heruntergekommen. Das Fensterglas in den Treppenhäusern fehlt, der Beton ist fahl braun. Doch scheint die Substanz noch solide im Gegensatz zu mancher Hilfe, die der Westen Kabul brachte und eher die Träume des Westens spiegelt.
In Makrorayan machte nach dem Einmarsch der Nato 2001 ein australischer Skateboard-Fan sein Hobby zum Geschäft. Ollie, der sich als „sozialer Unternehmer“ bezeichnet, begann in dem ausgetrockneten Springbrunnen neben dem Spielplatz Kindern das Skateboard-Fahren beizubringen. Das „Skateistan“-Hilfsprojekt war witzig und ungewöhnlich. Ollie sammelte bei verschiedensten Gebern Mittel ein. Unzählige Reportagen und damit mehr Geld und Auszeichnungen folgten. „Mädchen und Jungen machen hier zusammen Sport“, schwärmte ein westlicher Diplomat über das Projekt. „Skate-Rampen statt Bomben“, schreiben Zeitungen. Ollie verkaufte die Filmrechte für seine Kabuler Skateboard-Schule und sammelte Gelder für eine große Halle neben dem Ghazi-Stadium, wo die Taliban früher Hinrichtungen veranstalteten.
Inzwischen ist die 1.750 Quadratmeter große Halle eingeweiht. Patrick, ein Skater aus Kalifornien, zeigt die Anlage. Nein, Mädchen und Jungen fahren hier nicht zusammen Skateboard. Die Legende der Zusammenkunft der Geschlechter nach westlichem Vorbild ist eine der modernen Sagen über Afghanistan. Heute ist Mädchentag. Vier Teenager um die 13 Jahre jagen über den weißen Marmorboden und die Holzrampen. Sie tragen knappe rote Kleider und enge schwarze Hosen. Eine amerikanische Skaterin mit rotblonden Locken weist sie auf Englisch ein. Die Mädchen tragen Make-up, nur eine hat ein Kopftuch unter dem Schutzhelm. Entgegen afghanischer Konvention sind sie ohne Begleitung hier. Weil die Halle außerhalb der Stadt liegt, habe das Projekt einen Transport für die Kinder aus Makrorayon eingerichtet, sagt Patrick.
Doch dort scheint davon keiner zu wissen. „Skateboard?“, fragt ein Junge irritiert. Nein, davon habe er noch nichts gehört. Auch andere rätseln. Sie wissen nichts von Skateboard-Fahrern oder Westlern, die nachmittags Kindern das Fahren beibringen.
Der Westen wiederhole die alten Fehler, meint Professor Safi. „Die Amerikaner haben bis jetzt keine Ahnung.“ Die Sowjetunion wollte in den 80er Jahren den Sozialismus einführen und scheiterte an den Realitäten der afghanischen Gesellschaft, die zersplittert ist in ethnische Gruppen, Stammesverbände und eine kleine urbane und korrupte Elite. „Wir haben ihnen 1981 100 Millionen Rubel an Hilfsgeldern umsonst gegeben. All das ging an die Elite. Und in den Dörfern war nichts – kein Kerosin, keine Streichhölzer“, stöhnte Verteidigungsminister Marschall Sergei Sokolov im Jahr 1987. Nun ist der Westen an der Reihe.