KOMMENTAR: Sittliche Angebote an die Hinterbank
■ Die Kultur möchte bitte blühen. Aber warum sollte sie?
Von wegen Ende der Subventionen: Zumindest im Kulturbereich geht's jetzt erst richtig los. Schließlich darf nicht ausgerechnet jetzt der 30 Jahre lang allwestlicherseits beliebte Durchhalterummelplatz dicht gemacht werden. Gerade das prima Kultur-Angebot habe nämlich die Bonner Graumänner nach Berlin gelockt, stellte man gestern im Kulturausschuß einmütig fest. »Da kann man jetzt doch nicht den Friedrichstadtpalast und das Metropoltheater schließen«, klagte darauf der CDU-Fraktionskulturpfleger Uwe Lehmann-Brauns. »Gerade nach dem 20. Juni wird es einen enormen Schub von Menschen geben, die diese Form von Unterhaltung suchen.« Da wird er wohl ausnahmsweise Recht haben, einmal abgesehen davon, daß die beiden Bieder-Bühnen nur privatisiert werden sollen und nichts dagegen spricht, daß der Bundestag sie dann selbst als eigene Abteilung »Abgeordnetenbetreuung« übernimmt. Wenn Wagenpark, dann auch Wackelärsche.
Die Berliner Kultur soll nunmehr alle befriedigen. Nicht nur das Neuberliner Vertretervolk und fortbildungsfreudige Hauptstadtfahrer, die nach FDP-Willen in Zukunft auf Tourismusmessen von den Theatern diskret angesprochen werden sollen. Nein, Berlin soll sogar grundsätzlich für »die nahe und weite deutsche Umgebung«, wenn nicht gar »fürs Ausland« »Zentrum«, »Maßstab« bzw. »Sammelpunkt deutschsprachiger, hoffentlich auch ein Forum europäischer Kultur« werden, wie Kultursenator Ulrich Roloff-Momin in seinem Theaterkonzept schreibt. Diese »Serviceleistungen für alle« (Roloff-Momin) wiederum rechtfertigen, daß auch »alle« dafür zahlen: 70 Prozent der Kulturausgaben soll zukünftig der Bund der Legislativstadt zustecken. Spätestens bei der Rede über die Kultur führt sich all das hauptstadtenthusiastische Geschwafel vom jetzt eingeleiteten »Ende der Künstlichkeit« und der alten »Subventionsmentalität«, das fast alle Regierungssitz-Kommentatoren im vollen Mund führten, ad absurdum.
Kultur funktioniert anders als die meisten anderen Gemeinwesenbereiche. »Das wird der einzige Politikbereich sein, der in Zukunft nicht auf kommunales Interesse absinken und auch anderswo beachtet werden wird«, folgert die FDP-Landesvorsitzende Carola von Braun mit sensiblem Blick fürs Stadt- Image. Nur daß Kultur eben auch der Bereich sein wird, der durch die Hauptstadtfunktionszuweisung nicht blühen wird. Warum auch? Denn hier entsteht die Produktion eben nicht durch Investitionsanreize, sondern durch günstige Konstellationen von Menschen und Mieten, Klima und Kommunen — Faktoren, die für Berlin bisher unter dem Stichwort »Inselidylle« voreilig abgewertet wurden.
Und während die künstlerischen Seilschaften und »Einzelheinis« (Theweleit) gerade über die gewetzten Klingen von Wohnungs-, Atelier- und Probenraumvermietern springen, haken dieselben Rathaus-Leute, die eben noch Berlin als Standort fürs nationale Kulturkommando Ost angepriesen hatten, schnell noch ihre aufrechten Bedenken gegenüber »bloßer Repräsentationskultur« ab. Vielmehr hätte man gerne das brodelnde, eigendynamische Berlin der röhrenden 20er Jahre ganz schnell wieder: Wie alle Freier sich wünschen, daß die, der sie Geld geben, sie auch noch stürmisch liebt. Gabriele Riedle
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