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berliner szenenSitte, Polke und Polit

Höhere Wesen

Als Willi Sitte Mitte der 60er-Jahre im Auftrag des VEB Leuna ein großes Geschichtsbild über einen niedergeschlagenen Arbeiteraufstand in der mitteldeutschen Industrie „Leuna 1921“ malte, war Sigmar Polke im Rheinland mit seiner Werkreihe „Höhere Wesen befahlen“ zu Gange. Sitte stellte in seinem Historienbild voller Zitate eine revolutionäre Arbeiterklasse in den Mittelpunkt, die damit zugleich zum Auftraggeber und Adressaten der Kunst wurde. Polke dagegen zweifelte schwer an solch einem die Kunst legitimierenden Überbau und ironisierte die Leere, in die der „freie“ Künstler sein Werk entlässt, mit einer obskuren Befehlsgewalt höherer Wesen.

„Höhere Wesen befahlen einen Bildvergleich,“ sagte augenzwinkernd Fritz Jacobi, der als Kustos in der Nationalgalerie die beiden Künstler gegenübergestellt hat. Sein „höheres Wesen“ ist Museumsgeneral Peter-Klaus Schuster, der damit Kritik an Sittes Absetzung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg anmelden will. Dort wurde eine zum achtzigsten Geburtstag des Malers angekündigte Retrospektive „Willi Sitte – Werke und Dokumente“ kurzfristig verschoben, weil die Veranstalter plötzlich Angst vor einer einseitigen Sicht auf den größten Propagandisten des Sozialistischen Realismus bekamen (vgl. taz v. 21. 12. und 22. 1.).

Langjährige Liebhaber der ostdeutschen Malerei wie Eduard Beaucamp von der FAZ bewerten dies als Zensur und mutmaßen, dass Bündnisse von ehemaligen Dissidenten und westdeutschen Intellektuellen verhindern wollen, dass sich die Historienmalerei der DDR als Publikumsrenner erweist. Inzwischen hat der Maler selbst das verschobene Projekt aufgekündigt und stellt stattdessen in Halle aus.

Auch Jacobi, der schon in der DDR als Kustos an der Alten Nationalgalerie und im Alten Museum gearbeitet hat, erinnert das Vorgehen in Nürnberg „fatal“ an jenes autoritäre und politisch motivierte Urteilen über Kunst, das man dem Funktionär Sitte zu Recht vorwirft. Dennoch will er die moralische Bewertung vom Blick auf die Kunst des Malers trennen, der in seinen stärkeren Werken durchaus „diskutabel sei“. So gerüstet schreitet man zum Bildvergleich.

Polke schenkte 1998 anlässlich eines Ankaufs der Nationalgalerie sein Bild „Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost“, das bis in die Staats- und Landeswappen hinein eines der merkwürdig euphorischen Bauschilder aufnahm, die nach der Wende an Autobahnbaustellen in der ehemaligen DDR auftauchten. So schaut man bei ihm der symbolischen Inszenierung der Staatsmacht wie einem fadenscheinigen Schauspiel zu. Sitte daneben wirkt schwer wie Granit. Er nimmt mit seinem Heldenepos an eben jener symbolischen Inszenierung teil: Das Rot der Flammen, die gestreckten Fäuste, Manifeste, Maschinengewehre, Leichen und trauernde Witwen – alle sind nicht nur Kunstzitate von Grosz, Kollwitz, Beckmann usw., sondern auch feste Bestandteile der Ikonologie politischer Rituale. Fürchten muss man solche Bilder nicht mehr als eine Neudekoration der Neuen Wache. KBM

Zum Bildvergleich lädt die Nationalgalerie wieder am 8. und 22. Februar, 19 Uhr

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