Sinti und Roma nicht im Minderheitenartikel: Verfassung soll sauber bleiben
In Schleswig-Holstein scheitert der vierte Anlauf, die Minderheit der Roma und Sinti in die Landesverfassung aufzunehmen. Die CDU blockiert - weil die Gruppe nicht landesspezifisch genug sei.
HAMBURG taz | Die Dänen haben sie, die Friesen auch, doch den Roma und Sinti im Land fehlte sie bisher - und das wird auch so bleiben: Die Erwähnung als nationale Minderheit oder Volksgruppe in der schleswig-holsteinischen Landesverfassung. SPD, Grüne, FDP, Linke und SSW im Landtag plädieren seit Jahren dafür, Roma und Sinti auch aufzunehmen. Aktuell läuft das vierte Gesetzgebungsverfahren mit diesem Ziel. Doch es ist jetzt schon absehbar: Die erforderliche Zweidrittelmehrheit dafür werden sie nicht bekommen. Die CDU hat im Europaausschuss angekündigt, dagegen zu stimmen, die FDP wird sich enthalten - aus Koalitionsräson.
Die CDU begründet ihre Haltung so: "Nach unserer Auffasung ist die Landesverfassung dazu da, landesspezifische Dinge zu regeln", sagt der parlamentarische Geschäftsführer der Landtagsfraktion Axel Bernstein. Das gelte insbesondere, wenn es um Minderheiten gehe. Die Fraktion lehne eine Aufnahme in die Verfassung ab, da es Sinti und Roma auch außerhalb des Landes gebe.
Darum geht es: Dänen und Friesen haben laut Artikel fünf der Landesverfassung "Anspruch auf Schutz und Förderung". Allerdings heißt das nicht, dass Roma und Sinti bisher schutzlos wären, denn die Rechte aus dem Grundgesetz gelten selbstverständlich auch für sie. Außerdem gilt in Deutschland ein internationaler Vertrag, in dem sich die Unterzeichner verpflichten, ihre nationalen Minderheiten zu schützen und zu fördern (siehe Kasten). Die Rechte daraus gelten für Dänen, Roma und Sinti, Sorben und Friesen - mit deutschem Pass.
Das wichtigste Dokument, das den Minderheitenschutz regelt, ist das "Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten".
Der Vertrag ist eine völkerrechtlich verbindliche Übereinkunft von Mitgliedern des Europarats. In Deutschland trat er 1998 in Kraft.
Fördern und schützen müssen die Unterzeichner ihre nationalen Minderheiten.
Eine Definition, was eine nationale Minderheit ist, enthält der Vertrag nicht.
Deutschland hat erklärt, dass es Dänen und Sorben mit deutschem Pass als nationale Minderheit versteht. Auf die "Volksgruppen" Friesen, Sinti und Roma werden die Regelungen des Vertrags aber auch angewendet.
Um was also geht es bei der Aufnahme der Roma und Sinti in die Landesverfassung? Das könne man als "ein politisches Versprechen" verstehen, sagt Thomas Giegerich, Jura-Professor an der Uni Kiel. "Rechtsfolgen scheinen damit nicht verbunden zu sein." Auch sein Kollege Florian Becker sagt: "Die Aufnahme einer Minderheit in die Landesverfassung ist ein symbolischer Akt ohne unmittelbare Rechtswirkung." In der Landesverfassung werden die Staatsziele definiert - sie sind nicht einklagbar, aber das Land muss sich dran halten.
In Schleswig-Holstein leben rund 5.000 Sinti und Roma, erste Hinweise auf sie führen zurück ins 15. Jahrhundert. Sie wurden diskriminiert, ausgegrenzt und von den Nazis verfolgt. Den Befürwortern geht es darum, alle Minderheiten im Land gleichzubehandeln; zu zeigen, dass Roma und Sinti genau so akzeptiert sind wie Dänen und Friesen. "Das wäre ein wichtiges Signal gewesen", sagt Birte Pauls, minderheitenpolitische Sprecherin der SPD. Der Landesverband Deutscher Sinti und Roma versteht eine Aufnahme in die Verfassung als "Anerkennung als ethnisch-kulturelle Minderheit", schreibt der Vorsitzende Matthäus Weiß in einer Stellungnahme. Dass Schleswig-Holstein so lange brauche, um das umzusetzen, sei ein Trauerspiel.
Zwischenzeitlich sah es so aus, als sei in dieser Frage Bewegung in die CDU gekommen. "Mittlerweile sehen auch wir Diskussionsbedarf", sagte die integrationspolitische Sprecherin Astrid Damerow im September vergangenen Jahres der taz. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen betonte die Verantwortung gegenüber der Gruppe und auch die Minderheitenbeauftragte der Landesregierung, die CDU-Frau Caroline Schwarz, sprach sich für eine Verfassungsänderung aus. Doch die Moderaten in der CDU konnten sich offensichtlich nicht durchsetzen. Die Konservativen haben gewonnen. Zu ihnen gehört wohl der innenpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Werner Kalinka. Der verglich in der Landtagsdebatte im März 2010 zu der Verfassungsänderung den Status von Sinti und Roma mit deutscher Staatsangehörigkeit mit jenem von Türken und Polen in Schleswig-Holstein - und dem der Armen im Land. Tenor: Wenn Sinti und Roma aufgenommen werden, könne das jeder fordern.
Die Opposition im Kieler Landtag ist sauer und schreibt wütende Pressemitteilungen: "Skandalös", "altbacken", "nationalkonservativ", "halsstarrig" sei die Haltung der CDU. Die SPD-Politikerin Pauls kündigt jetzt schon an, sie werde den Antrag nächstes Jahr wieder einbringen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen