■ Nachschlag: Sinnlos dahingemordete Fahrräder
Wochenends kann man tausenderlei Sachen machen. Oder auch gar nichts. Wobei das zweckfreie Nichstun sich irgendwie auch der Definition entzieht und nachträglich plötzlich wieder in den Bereich des Sinnvollen schwappt, wenn man darüber schreibt. Wenn man nichts tut, trifft man häufig auf Dinge, die auch nichts tun. Früher waren es Trabbikadaver, die überall sinnlos herumstanden. Inzwischen trifft man immer häufiger auf alleingelassene Fahrräder. Überall eigentlich. An Häuserwänden, vor Geschäften, zynischerweise auch häufig vor Friedhöfen achtlos hingeschmissen, häufig mit verrenkten Gliedern. Meist sind sie noch angeschlossen. Oft läßt sich auf ihre frühere Gestalt sowenig schließen wie etwa bei einem abgehackten Fuß, den man am Wegesrand so finden mag. Am Fahrradständer vor meinem Edeka-Markt in der Gneisenaustraße hängt zum Beispiel nur noch ein Fahrradvorderreifen am teuren Trelockschloß: Innereien, Gedärme quellen hervor, die Felge ist zertrümmert. Warum nur?! Auch Ritualmorde kommen vor. In der Mittenwalder Straße etwa hängte eine lynchmordbegeisterte Meute vor ein paar Tagen ein Fahrrad am Straßenschild auf. Zwei Tage lang stank der Kadaver. Dann wurde er wohl von Fahrradfreunden begraben.
Bei den meisten Fahrradleichen, die so vor sich hinverwesen, stellt man sich vor, daß den Besitzern schlimme Dinge zugestoßen sein mögen. Eigentlich bemerkt man die alleingelassenen Fahrräder erst, wenn sie schon recht ramponiert sind, und erinnert sich dann an die letzte Woche, als lediglich ein wenig Luft im Vorderreifen fehlte. Jedesmal, wenn man nun an ihnen vorbeikommt, wird der Verwesungsgeruch penetranter. Irgendwann dann hängt nur noch ein robustes Schloß am Fahrradständer. Vergänglich sind die Dinge dieser Welt; möglicherweise sind die Fahrradbesitzer aber auch gar nicht tot, sondern nur treulos und haben sich neue Gefährten gesucht und fahren jetzt mit Inlineskates durch die Stadt. Detlef Kuhlbrodt
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