Sinkende Steuereinnahmen: Corona sprengt die Schuldenbremse
Die Steuereinnahmen werden in den kommenden Jahren sinken. Kommende Bundeshaushalte mit wenigen Krediten sind deshalb unrealistisch.
Die Ergebnisse der neuesten Steuerschätzung sind ziemlich ernüchternd. Wenn die Haushaltspolitiker:innen der Koalition an diesem Donnerstag den Bundesetat für 2021 besiegeln, füllen sie riesige Löcher – mit Schulden. Denn die Einnahmen reichen bei Weitem nicht, um die Ausgaben zu decken. Das gibt einen Vorgeschmack auf die nächsten Jahre.
Neue Kredite aufzunehmen ist ein gangbarer Weg. Achim Truger, einer der Wirtschaftsweisen der Bundesregierung, plädiert dafür, ihn einzuschlagen. Dann steigt zwar die Gesamtverschuldung des Staates. „Wir können aber aus den Schulden rauswachsen“, sagt der Ökonom, der mit Unterstützung der Gewerkschaften in den Sachverständigenrat einzog.
Truger verweist auf die Finanzkrise ab 2009. Danach sank die Schuldenquote wegen der guten Konjunktur innerhalb von neun Jahren von über 80 auf unter 60 Prozent der Wirtschaftsleistung. „Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen sind dafür heute nicht nötig, sondern ein anderer Umgang mit der Schuldenbremse“, so Truger. Diese begrenzt die Neuverschuldung des Bundes auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr, von krisenbedingten Ausnahmen abgesehen.
30 bis 40 Milliarden weniger pro Jahr
Der Wirtschaftsforscher sieht vier Stellschrauben. „Erstens sollte das Berechnungsverfahren der zulässigen Kreditaufnahme im Rahmen der Schuldenbremse geändert werden.“ Konjunkturelle Spielräume würden bislang künstlich kleingerechnet. „Das ermöglichte dem Bund eine zusätzliche regelkonforme Kreditaufnahme von bis zu 20 Milliarden Euro pro Jahr.“
Zweitens rät Truger, die Ausnahmeregel innerhalb der Schuldenbremse zu verlängern. Vorübergehend könnte der Staat dann mehr Kredite aufnehmen. Drittens solle man den Tilgungszeitraum für die Coronaschulden von 20 auf 50 Jahre verlängern. Und schließlich hält er es für möglich, dass Bund und Länder Extrahaushalte für Investitionen einrichten, die nicht den Schuldenregeln unterliegen.
Lockere Ideen eines besonders ausgabefreudigen Wirtschaftsforschers, könnte man meinen. Doch Jens Boysen-Hogrefe, Ökonom am traditionell weniger spendablen Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), denkt in eine ähnliche Richtung. Er will die Schuldenbremse zwar nicht revidieren, spricht sich aber ebenfalls für eine flexible Handhabung aus.
„Für einige Jahre könnte der Bund eine Art Ausnahmeregel definieren“, sagt Boysen-Hogrefe. „Das strukturelle Defizit dürfte dann höher ausfallen als die bislang festgelegten 0,35 Prozent.“ Jedoch rät er zu einem konkreten Abbaupfad mit einer jährlichen Reduzierung der Neuverschuldung, um die 0,35 Prozent möglichst bald wieder zu erreichen.
Scholz will Schuldenbremse ab 2022 wieder einhalten
Im Vergleich zur jetzigen Situation könnte dieses Verfahren für mehr Ausgabendisziplin sorgen, meint der Kieler Ökonom. „Weil der Bundesfinanzminister aktuell keine Neuverschuldungsobergrenze definiert, beanspruchen die Ministerien teilweise vielleicht unnötige Mehrausgaben“, so Boysen-Hogrefe.
Wie es konkret weitergeht, ist unklar. Offiziell will Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) die Schuldenbremse ab 2022 wieder einhalten. Vor dem Hintergrund von über 160 Milliarden Euro zusätzlichen Krediten in 2021 und beträchtlichen Löchern in der mittelfristigen Finanzplanung erscheint das aber unrealistisch.
Das ahnt auch Haushaltspolitiker Eckhardt Rehberg (CDU): „Die Einhaltung der Schuldenbremse ab 2022 bleibt eine große Herausforderung.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete die Bremse als „flexibel genug“ und „Leitschnur für die zukünftigen Jahre“. Eine moderat höhere Kreditaufnahme als normal erscheint damit nicht ausgeschlossen.
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