Sind Sie der Trainer des Jahres, Herr Ribbeck?

Erich Ribbeck ist der Letzte, der sich einen Anzug für dreitausend Mark schneidern lassen würde. Trotzdem reduzieren viele Fußballexperten den DFB-Teamchef auf teure Kleidung, gestylte Frisur, sein Aussehen und seine Rhetorik. Dabei hat er den DFB und das angeschlossene Land soeben glücklich zur EM 2000 geführt. Morgen tritt seine Auswahl in Norwegen zum letzten Spiel des Jahres an. Höchste Zeit, zu klären: Herr Ribbeck, sind Sie der Trainer oder der Entertainer des Jahres? Oder ist es dasselbe? Darüber srachen mit ihm Ulrich Fuchs und Peter Unfried

taz: Herr Ribbeck, warum sind Sie eigentlich nicht Pastor geworden?

Ribbeck: Wieso Pastor?

Es gibt da in Ihrer Familie ja eine lange Tradition . . .

. . . das stimmt, sie reicht über zwanzig Generationen bis zu meinem Großvater . . .

. . . und wenn Sie das Spiel des DFB-Teams gesundbeten, und die deutsche Fußballgemeinde im Glauben an die Mannschaft bestärken, hat man manchmal den Eindruck, ein bisschen reicht sie auch noch bis zu Ihnen.

Die Aufgaben eines Pastors sind andere, als dass der reden kann und die Leute bequatschen.

Wie wichtig ist denn die Aufgabe eines Teamchefs, die Taktik im Umgang mit den Medien zu beherrschen?

Man muss die Regularien kennen. Bei meiner zweijährigen Tätigkeit für Opel, als ich auf der anderen Seite war, da habe ich ein bisschen Einblick in ihre Arbeit bekommen. Das hilft.

Es gibt Leute, die sagen, Ihre erstaunlichste Leistung als Teamchef sei, dass sich die „Bild“-Zeitung so handzahm verhält.

Handzahm?

Gegen Berti Vogts hat „Bild“ jahrelang Gift und Galle gespuckt, bei Ihnen heißt es nach den peinlichsten Niederlagen: Kopf hoch, Erich!

Die haben auch schon anders geschrieben über mich. Wenn ich an meine Bayernzeit denke oder in Leverkusen . . .

Aber als Teamchef werden Sie geschont.

Na ja. Als wir 0:3 gegen die USA verloren hatten, haben die zum Beispiel geschrieben: „Jetzt reicht's, ihr Flaschen“.

Das war nur auf die Spieler gemünzt und hat die Millionärsdiskussion wieder aufgenommen – Sie aber blieben außen vor.

Ich weiß nicht. Ich habe das in Dortmund schon mal als Trainer miterlebt, wie eine Mannschaft niedergeschrieben worden ist. Irgendwann habe ich zu den Journalisten gesagt, wenn ihr so weitermacht, könnt ihr nächstes Jahr in die Provinz fahren. Irgendwann müssen die doch auch mal auf den Gedanken kommen: Wir können das Produkt nicht immer schlecht machen, von dem wir leben.

Sie glauben nicht im Ernst, dass „Bild“ Sie pfleglich behandelt, um den Absturz der Nationalelf in die Drittklassigkeit zu verhindern?

Sie haben doch gesagt, die würden uns schonen.

Es ist uns um Ihre Person gegangen. Ein kleiner Hinweis: Lothar Matthäus ist ja bekanntlich nicht gerade ein Feind von „Bild“.

Ich habe Lothar Matthäus nicht zurückgeholt, damit die Bild stillhält. Das kann ich Ihnen reinen Gewissens sagen.

Fragen wir anders: Wer hat die Macht im deutschen Fußball?

Das ist eine gute Frage, die Macht. Im Fußball ist das wie sonst auch auf der Welt. Ich sage immer, wir hängen alle irgendwo an der Strippe. Es gibt Entscheidungen, die fallen eine Etage höher.

Sie reden jetzt von Leo Kirch . . .

Es geht mir nicht um irgendwelche Namen.

. . . oder von Franz Beckenbauer. Der hat in „Bild“ ja sofort sein Plazet gegeben, als Sie Teamchef wurden.

Wir kennen uns schon ewig. Der Franz hat mich auch als Trainer nach München geholt. Deshalb hätte es mich überrascht, wenn er jetzt in der Öffentlichkeit gesagt hätte, der Ribbeck taugt nichts. Aber selbst wenn er der Überzeugung wäre, ich wäre nicht der Richtige, hätte er nichts gesagt. Das Leben besteht aus Beziehungen, das ist menschlich und in Ihrem Bekanntenkreis wahrscheinlich auch nicht anders.

Hoffentlich doch.

Ich bedaure auch, dass das so ist. Ich wäre auch froh, wenn es überall gerecht zuginge.

Aber wie es wirklich läuft, wird – wie haben Sie gesagt? – eine Etage über uns entschieden?

Ja, das sind andere Größenordnungen, aber da mache ich mir keine Gedanken drüber.

Obwohl man die Stränge manchmal ja nach unten verfolgen kann. Da ist Kirch, der Milliarden ausgegeben hat für Fernsehrechte und will, dass die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland ausgetragen wird, und Springer und Kirch sind verflochten und . . .

Vielleicht habe ich da ja irgendwo einen Fürsprecher seit neuestem. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich im Prinzip alles, was passiert ist, erklären kann. Dass ich kein Brimborium darum mache. Oder dass ich, wenn wir gewonnen haben, nicht gleich sage: Wir haben ein tolles System, das habe ich ausgetüftelt in Tag-und-Nacht-Arbeit.

Sondern? Wie schaffen Sie es, dass die Zuschauer im „Aktuellen Sport-Studio“ des ZDF Ihnen selbst nach einem so mageren Kick wie dem 0:0 gegen die Türkei begeistert Beifall klatschen?

Mir würde es nie schwer fallen, die Leute, die da sitzen, hinter mich zu bringen. Da brauchte ich nur ein paar populistische Dinge rauszulassen. Wir dürfen aber nie den Fehler machen, die Fans zu unterschätzen. Ich glaube, dass die Leute – gerade auch die im Stadion – ein Gespür dafür haben, was ehrlich ist und was nicht. Und ich versuche ehrlich zu sein. Ich will nichts schönreden.

Das sieht Ihr Ex-Chef Jupp Derwall anders: „Der Erich ist für die Nationalmannschaft der Beste“, hat er gesagt, „weil er sie in ihrem derzeitigen Zustand am besten verkaufen kann.“

Er hat ja nicht gesagt, dass die Manschaft schlecht ist, sondern nur, dass ich gut verkaufe – das ist für mich was Positives.

Aber was sind Sie jetzt: Trainer oder Verkäufer?

Im Gegensatz zu manchen anderen bin ich der Ansicht, dass heute ohne Verkauf gar nichts mehr geht. Man kann das beste Produkt haben, aber wenn man nicht in der Lage ist, zu verkaufen, bleibt man trotzdem drauf sitzen. Deshalb ist der Verkauf ein Teil meiner Aufgabe . . .

. . . und für das Produktdesign ist Matthäus zuständig. Der, heißt es, würde die taktische Ausrichtung der Mannschaft vorgeben. Warum lächeln Sie?

Ich kann mit dieser Aussage leben.

Wir wollen aber wissen, ob sie auch der Wahrheit entspricht.

Wenn ich eine Woche mit den Spielern zusammen bin, spreche ich natürlich viel mit ihnen, gerade mit den Älteren: Bierhoff, Kirsten, Bode, Matthäus. Den Lothar habe ich zum Beispiel gefragt: Wie macht ihr das bei Bayern eigentlich in der Abwehr? Oder ich erkläre den Spielern, was ich vorhabe, und natürlich sagt da auch einer mal: Wir könnten das aber auch so machen. Aber erst muss mich einer überzeugen, bevor ich was ändere.

Von drei Angreifern scheinen Sie mittlerweile überzeugt zu sein, aber spielen Sie wirklich mit drei Stürmern, oder . . .

. . . im Prinzip schon, auch wenn das gegen die Türkei durch die Umstellungen ein bisschen anders gelaufen ist und Mehmet Scholl auch viel im Mittelfeld war.

. . . ist es nicht so, dass dieses System vor allem auch die Abwehrarbeit erleichtern soll?

Wenn der Gegner in Ballbesitz kommt, ist es mit drei Spitzen natürlich einfacher, ihn auf den Außen früh aufzuhalten. Die Angreifer auf den Flügeln müssen nur mit zurückgehen. Wenn man mit zwei Spitzen spielt, dann muss einer von den beiden nach außen, um den Gegner am Flügel aufzuhalten.

Eine andere Theorieschule ist der Ansicht, dass das schnelle und extreme Verschieben den Anforderungen des modernen Spiels angemessener ist, als den Gegner über ein ausgeprägtes Positionsspiel aufzuhalten.

Wir verschieben auch.

Aber Sie haben theoretisch schon eine andere Auffassung als etwa Ralf Rangnick, der Trainer des VfB Stuttgart?

Ich finde das gut, was der macht . . .

Nach seinem legendären „Sport-Studio“-Auftritt haben Sie ihm öffentlich den Kopf gewaschen.

Das würde ich so nicht mehr machen. Ich weiß jetzt, dass man ihn ein bisschen dahin gedrängt hat, den Altklugen zu machen und zu sagen: „Was ich spielen lasse, ist das allein selig Machende“ – obwohl er das so gar nicht wollte. Ich freue mich über jeden Erfolg von Rangnick.

Ist das jetzt solch ein Populismus, mit dem Sie die Leute in Deutschland hinter sich bringen?

Blödsinn. Ich freue mich auch über jeden Sieg von Freiburg, weil wir doch letztlich auch von den neuen Ideen profitieren und weil da der Beweis angetreten wird, dass Geld nicht alles ist im Fußball.

Herr Ribbeck, als Sie das Amt des DFB-Teamchefs antraten, gab es da bei Ihnen so etwas wie eine fußballerische Vision?

Es gab ein Ziel: Wir müssen uns für die Europameisterschaft in Belgien und Holland qualifizieren. Es wäre nicht auszudenken gewesen, wenn wir das nicht geschafft hätten. Da hängt ja nicht nur der Sport dran, da hängen die Medien, ganze Industriezweige dran. Wenn einer sagt, wir hätten auch mal eine EM sausen lassen können, dann sage ich: Der kennt sich nicht aus in unserer Welt.

Was interessiert einen das ganze Fußballgeschäft denn noch, wenn man es sich auf Teneriffa gut gehen lässt?

Erst mal muss ich mit diesem Teneriffa-Märchen aufräumen. Ich habe nicht da gelebt, sondern Teile des Jahres da verbracht. Und ich habe mich auch nicht als Rentner gefühlt, der im Garten sitzt und die Erdbeeren zählt. Ich habe am Fußball immer noch Anteil genommen und war gut informiert. Außerdem ist Teneriffa nicht am Ende der Welt, da kann man auch Sat.1 sehen, man muss sich nur eine Satellitenschüssel aufs Dach machen.

Und als dann der DFB-Präsident Braun angerufen hat . . .

. . . der mich in Köln erreicht hat . . .

. . . da haben Sie einfach gedacht: „Mach et, Erich“?

Ich habe mich als einer gefühlt, der geholt wird, um die Karre aus dem Dreck zu fahren. Das zieht sich wie ein roter Faden durch meine Trainertätigkeiten. Auch bei Bayern München oder Leverkusen, überall, wo ich angefangen habe, habe ich mich ein bisschen als Sanierer gefühlt.

Den Stand Ihrer bisherigen Instandsetzungsarbeit hat die „Süddeutsche Zeitung“ trotz geschaffter EM-Qualifikation als „Irgendwo im Nirgendwo“ verortet.

Ich hatte nichts anderes erwartet. Bei einigen Zeitungen ist die Grundeinstellung so, dass die nie schreiben würden: Das Glas ist halb voll. Für die ist es immer halb leer.

Nehmen wir einen, der gänzlich unverdächtig ist, mit kritischen Journalisten zu sympathisieren: Franz Beckenbauer hat nach dem Türkei-Spiel gesagt, dass die Weltmeister von 1990 Ihre Elf auch barfuß schlagen würden, wenn man sie nachts aus dem Bett holt.

Diese Supermannschaft von Franz Beckenbauer ist damals in ihrer Qualifikationsgruppe Zweiter geworden, und im letzten Heimsspiel gegen Wales hat sie 2:1 gewonnen, und in der vorletzten Minute hat Mark Hughes knapp über die Latte geköpft, und wenn der drin gewesen wäre, wären sie gar nicht zur WM gefahren. Ich stelle das nur fest. Diese Super-Barfußmannschaft hat in der Qualifikation mit Schuhen schlechter abgeschnitten als unsere.

Nanu, Sie können ja auch sauer werden.

So abgebrüht bin nun auch nicht.

Haben Sie gegen den Fernseher getreten vor Empörung?

Ich habe es erst am nächsten Tag in der Zeitung gelesen.

Und dann wilde Flüche ausgestoßen?

Ich kenne ja den Franz. Und mittlerweile können die meisten auch ganz gut einordnen, was der Franz sagt, und zu welchem Zeitpunkt er was sagt.

Viele Jahre nach seiner großen Zeit als Trainer des AC Milan hat Arigo Sacchi gesagt: „Nicht die Siege werden in Erinnerung bleiben, sondern wie wir gesiegt haben“ . . .

Ich würde das eher umgekehrt sehen.

Sacchis Satz enthält auch die Botschaft: Spielt einen Fußball, der die Erinnerung wert ist!

Was bleibt denn heute überhaupt in Erinnerung? Gar nichts. Die Weltmeister von 1954 kann ich Ihnen noch alle aufzählen, aber 1990, wissen Sie da noch alle? Oder wer in der Champions League letztes Jahr gegen die deutschen Mannschaften gespielt hat? Wir werden so überfüttert mit Nachrichten, mit Fußball, dass wir am nächsten Morgen fast schon nicht mehr wissen, was wir am Abend vorher im Fernsehen gesehen haben.

Haben Sie noch Spaß in diesem Hamsterrad?

Spaß macht es, die Spieler zu erleben, sie von was zu überzeugen, Fehler abzustellen, die auf dem Spielfeld gemacht werden, zu flachsen . . .

. . . und vorbei ist der Spaß, wenn am nächsten Morgen in der Zeitung über den „Faselhans von Leverkusen“ gehetzt wird?

Höchstens meine Frau regt sich über so was noch auf. Ich sage immer, wenn sie einigermaßen der deutschen Sprache mächtig sind, dann heißt es bei manchen schon: Das ist ein Schönschwätzer, in der Praxis kann der nichts draufhaben.

Auch seriöse Medien haben kolportiert, dass Sie fußballtaktisch nicht gerade auf dem neuestem Stand sind.

Wenn die glauben, ich habe von Taktik keine Ahnung, dann können wir uns ja mal einschließen, eine Arbeit schreiben, dann wird man sehen, ob ich was weiß oder nicht.

Die, welche Sie als eitlen Gecken spotten, laden Sie zur Morgentoilette ein?

Manchmal denke ich, ich hätte während des Studiums in eine schlagende Verbindung gehen sollen, um mir das Gesicht ein bisschen entstellen zu lassen – vielleicht würde ich dann eher als Fachmann anerkannt.

Sie sind ein Opfer des Til-Schweiger-Phänomens: „Sieht gut aus, muss blöd sein“?

Es scheint so, ich weiß nicht, warum.

Neidfantasien?

Zu all diesem Blödsinn mit den geföhnten Haaren, dass ich nur mit Klamotten von teuren Firmen rumlaufe, immer irgendwelche Superkrawatten trage – glauben Sie mir, dass ich in meinem Leben vielleicht dreimal in einem Geschäft war, um mir selbst was zu kaufen?

Ah, es scheint wie beim Kanzler Schröder zu sein – Ihre Frau kauft ein.

Meine Frau kauft ein, aber auch Jacken, die hundertfünfzig Mark kosten. Ich bin kein Modemuffel, ich ziehe gern etwas Schickes an. Aber ich bin der Letzte, der sich einen Anzug für dreitausend Mark schneidern lassen würde. Das würde mich total aufregen, so viel Geld für Klamotten auszugeben. Trotzdem werde ich immer in so eine Ecke gestellt.

Und dort leiden Sie unter den falschen Bildern?

Nein. Ich versuche nur, Ihnen zu erklären, dass ich in Wirklichkeit anders bin.

Wie sind Sie denn?

Mir sind Bratkartoffeln mit Sülze lieber als Kaviar und ein Fünfgängemenü, und lieber trinke ich ein Kölsch als Champagner, und im Urlaub zum Beispiel, da stehe ich nicht auf solche Freudentempel mit Beauty Farm und was weiß ich. Da fühle ich mich wohler bei den Surfern: Einer holt einen Kasten Bier, der andere backt einen Kuchen, und dann setzen wir uns an den Strand und trinken ein Fläschchen. Das ist meine Welt.

Ulrich Fuchs, 43, ist Chefredakteur des Fußballmagazins Hattrick, dessen neueste Ausgabe, „Der Libero ist tot“, soeben erschienen ist; Peter Unfried, 35, war Sportredakteur und ist jetzt stellvertretender Chefredakteur der taz.