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■ Sind Meinung, Information und Wissen zu trennen? Unkritische Anmerkungen zu einem Problem unserer DiskurskulturDie Meinung – ein seltener Gast

Ironische Distanz zur eigenen Meinung ist das beste Mittel gegen Fanatisierung

Wir befinden uns – wen überrascht es? – auf der Meinungsseite der taz. Nicht private Meinungen sind da gefragt, sondern solche, die beanspruchen, sich in den öffentlichen Diskurs einzuschreiben. So wie es in dem eher zur Erheiterung herausgegebenen philosophischen Mini-Wörterbuch für Heimdenker zum Stichwort Meinung heißt: „Was ich jemandem mitteile, damit er es mit mir teilt.“

„L'opinion public n'existe pas“ hatte der berühmte Pariser Soziologe Pierre Bourdieu vor einigen Jahren hingegen festgestellt. Falls man nicht so weit gehen möchte, die Existenz der öffentlichen Meinung zu leugnen, so bleibt immerhin noch der Zweifel an ihrer Herkunft. Hatte der Stuttgarter Kabarettist Mathias Richling womöglich Recht, als er bemerkte: „Die Meinungsforschung fragt nicht uns: ,Haben Sie eine Meinung, die wir erforschen können?‘ Nein, wir fragen die Forschung: ,Haben Sie eine Meinungsforschung, die wir dann äußern könnten?‘“

Das Problem, das sich beim Thema „Meinung“ – weniger grotesk – zuerst ergibt, betrifft das Verhältnis von Meinung und Information. Obwohl lange schon in Frage gestellt, wird die Unterscheidbarkeit von beidem bis heute praktisch unterstellt, dadurch dass der Informations- und der Meinungsteil klar voneinander geschieden und entsprechend deklariert werden. Dabei wissen wir spätestens seit den alten 68er-Kämpfen gegen die Bild-Zeitung, dass hier in der Regel alles durcheinander fließen kann, wenn nicht sogar muss. „Wieder zwei Tote durch die vietnamesische Zigaretten-Mafia!“ – Gerade auf der Seite eins ist bei unseren Boulevardblättern ziemlich unklar, um was es sich handelt. Ob „Ohr abgebissen!“ oder „Pitbull entmannt eigenen Herren!“ – wir bekommen hier zwar Informationen geliefert, aber ihre „pragmatische Funktion“, also der soziale Sinn der Sprechakte, mit denen wir dabei konfrontiert werden, ist natürlich ein ganz anderer. Welche drastischen Bilder werden uns hier nicht vor Augen gestellt, welche Gefühle oder Ängste für uns dramatisiert. „BILD Dir Deine Meinung!“ – Diese Werbeidee des Boulevardblattes scheiterte, sobald man nicht mehr an die Wahrheitstreue von tatsächlichen wie auch sprachlich erzeugten Bildern glaubt. Information scheint sich hier – geradezu dialektisch – fast auf die Information über Meinungen zu reduzieren.

Was will also eine Meinungsseite? Das offen tun, was auf den anderen Seiten ohnehin schon passiert? Oder es nur bewusster tun? Oder Anleitungen liefern zu den ja sehr unterschiedlich zu lesenden Botschaften im Informationsteil (damit niemand taz mit FAZ verwechselt)? Vielleicht all dies. Vielleicht ist die Meinungsseite aber auch schlicht ein Forum für die Selbstbestätigung der „Szene“ bezüglich ihrer eigenen Auffassungen und Weltsichten. „Gut zu wissen, dass es meinesgleichen in dieser Welt (noch) gibt!“ dürfte durch viele Köpfe bei der morgendlichen Lektüre gehen. Brauchen wir also zumindest psychologisch gesehen die Foren der Meinungsbildung? Offenbar schon. Auch wenn einem da schnell die berühmten Sätze aus Immanuel Kants „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ einfallen, in denen der Königsberger Philosoph beklagt, dass überall dort eine „selbstverschuldete Unmündigkeit“ vorliegt, wo der Mut fehlt, „sich seines eigenen Verstandes zu bedienen“. Es hängt immerhin einiges davon ab, wie man die Meinungsangebote aufnimmt. Entscheidend ist hier – wie bei jedem Text –, ob man seiner Dramaturgie oder Rhetorik auf den Leim geht oder ob man sich autonome Lektürestrategien zu bewahren vermag. Meinung-Haben muss ja im übrigen auch nicht Meinung-Sein bedeuten. Ironische Distanz zur eigenen Meinung ist – nicht immer, aber häufig – das beste Mittel, um der Selbstbornierung oder gar Fanatisierung zu widerstehen.

Spätestens wenn Meinungen von Werkzeugen zu Waffen werden, hört der Spaß bekanntlich auf. In Deutschland, einem Land der Überzeugungstäter, wo man immer wieder schlechte Meinungen selbst von Menschen gehabt hat, die einem eigentlich unbekannt waren, und wo Meinungen mit Affekten besetzt worden sind, so dass sie für den Willen zur Vernichtung anderer ausreichten – in einer solchen Welt haben wir allen Grund, wenn schon nicht die Schwerter zu Pflugscharen, so doch wenigstens die Wörter zu Stradivaris zu machen. Andererseits stellt sich heute die Frage: Haben wir, ja wollen wir überhaupt noch Meinungen – in angeblich postmodernen Zeiten? Wir kennen ja nicht nur die Meinungsfreiheit aus Grundgesetz Art. 5, sondern auch eine praktische Meinungsfreiheit. Kaum zu übersehen, dass neben der kultivierten Gesinnungslosigkeit auch die meinungsfreien Zonen im Wachsen sind. Umgekehrt lässt sich auch behaupten, dass alles bloß Meinung, Überzeugung oder „Text“ sei und nichts im strengen Sinne „real“, wie einige dekonstruktivistisch Gesinnte glauben. Meinungsbildung wäre auch dann ein Luxus, der nun allerdings relativ folgenlos erscheint.

Hier handelt es sich um eine Auffassung, die wahrhafte Philosophen wie Platon noch heute im Grab erschüttern müssen. Das bloße Meinen war nicht nur für ihn ein oberflächliches und im Irdischen verfangenes Verhältnis zur Wahrheit, das es so schnell wie möglich zu überwinden galt, um zu den „Ideen“ geistig aufzusteigen. Auch wenn es sich dabei um ein Privileg der Philosophie handelte, haben es viele Philosophen der Tradition bekanntlich darunter auch nicht gemacht. Die Meinungsfreiheit war für Denker vom Schlage Platons insofern weniger im Sinne unseres Grundgesetzes interessant als im Sinne des Freiseins vom Meinen.

Auch andere idealistische Denker gingen davon aus, dass Wirklichkeit die Vorstellung des Geistes sei. Welch absurde und weltfremde Auffassung! – fand der amerikanische Pragmatist Charles Sanders Peirce und erdachte sich eine Situation, in der ein träumender Idealist die Straße hinunter schlendert, alles für pure Vorstellung hält und plötzlich von der Existenz der Außenwelt überzeugt wird, indem ihm ein Betrunkener eine Ohrfeige gibt. Die äußere Wirklichkeit hatte sich unserem Philosophen also von selbst aufgedrängt ...

Haben wir oder wollen wir überhaupt noch Meinungen – in der „Postmoderne“?

Halten wir also fest: Ob alles bloße Meinung ist oder nicht, ob man an ihnen interessiert ist oder nicht, ob Meinungen erschlichen werden, ob man zu ihnen verführt wird oder sie sich rational bildet, ob die Fixierung auf Meinungen gefährlich ist oder nützlich und notwendig – aus den Meinungsbildungsprozessen kommen wir dennoch nicht heraus.

War das alles nun eine Meinungsäußerung auf der taz-Meinungsseite? Das verbot sich heute von selbst. Assoziationen, Gedanken oder auch nur Einsprengsel mussten die entstandene Lücke füllen. Thomas Schäfer

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