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Simone Schmollack über den Umgang mit ausländischen FachkräftenVerschenkte Expertisen

Pflegenotstand, Pflegenotstand, Pflegenotstand! So lautet das Mantra dieser Tage. Dahinter steckt ein Drama, für das sich keine Katharsis andeutet. Es fehlen Plätze in Pflegeeinrichtungen und Pflegekräfte, dem Institut der Deutschen Wirtschaft zufolge aktuell 130.000 Fachkräfte. Bis 2049 könnten es mehr als doppelt so viele sein. Die Folgen entfalten sich längst brachial: Pflegekräfte melden sich wegen Burnouts längerfristig krank, steigen aus dem Beruf aus oder verabschieden sich früher in die Rente. Diese Zustände werden sich verschärfen und ziehen wiederum weitere Folgen nach sich: Mehr Menschen, die Angehörige zu Hause pflegen, landen früher oder später wegen Überlastung in einer Klinik, meistens sind das Frauen. Zu guter Letzt verstärkt die sinkende Qualität in Pflegeeinrichtungen die Unzufriedenheit aller Seiten. All das können die gestiegenen Pflegeversicherungssätze natürlich nicht ausgleichen.

Nun ist es nicht so, dass es keine Strategien und Initiativen dagegen gäbe. Seit 2013 beispielsweise Triple Win, ein Programm der Bundesarbeitsagentur in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit, das Pflegefachkräfte aus Nicht-EU-Ländern anwirbt. Bislang wurden darüber mehrere Tausend Fachkräfte von den Philippinen, aus Indonesien, Tunesien, Indien, Viet­nam und Jordanien nach Deutschland geholt.

Mit gemischtem Erfolg: Ar­beit­ge­be­r:in­nen sind weitgehend zufrieden, die ausländischen Pflegekräfte vielfach nicht. Denn ihre Integration gestaltet sich nicht selten schwierig, sie fühlen sich hier oftmals nicht willkommen. Wenn jetzt der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste beklagt, dass Fachkräfte aus dem Ausland bis zu 500 Tage darauf warten müssen, dass ihre Abschlüsse anerkannt werden, dürften sich migrantische Fachkräfte darin bestätigt fühlen: Man will unsere Expertise, aber man lässt uns Hilfsarbeiten verrichten.

Will die neue Bundesregierung punkten, muss sie das zeitnah ändern – und in erster Linie ihre Migrationspolitik überarbeiten. Die Pflegebranche ist nicht die einzige mit solchen Zuständen, Kinderbetreuung ist der nächstfolgende desolate Sektor.

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