Simbabwische Flüchtlinge campen in Kirche: Wenn es Nacht wird
In einer Johannesburger Methodistenkiche kampieren Flüchtlinge. Ihr Alltag ist hart. Doch alles scheint besser, als weiter unter dem Diktator Mugabe zu leiden.
JOHANNESBURG taz Sie hocken zusammengekauert auf den Stufen, die Köpfe haben sie an die Wand gelehnt oder auf ihre armselige Habe gebettet: eine Plastiktasche, manchmal ein Rucksack, den sie bei der Flucht aus Simbabwe ins Nachbarland Südafrika mitgeschleppt haben. Licht gibt es nicht im Treppenhaus der Methodistenkirche in Downtown Johannesburg. Beim Hinaufsteigen in die oberen Stockwerke ist kaum zu vermeiden, auf Füße und Hände zu treten, im Dunkeln ist kaum etwas zu erkennen. Schweißgeruch hängt in der Luft, an den Aufgängen zu den Etagen haben sich die jungen Männer wie Sardinen zur Nacht aneinandergereiht, nackte Oberkörper glänzen im Lichtschein, der aus einem Zimmer kommt: Im Übungsraum des Kirchenchors haben die Frauen und Kinder Zuflucht gefunden.
Die Flüchtlinge: Täglich fliehen Hunderte Simbabwer nach Südafrika, um der Krise in ihrer Heimat zu entkommen. Simbabwes Wirtschaft ist am Boden, die Inflation beträgt sagenhafte 100.000 Prozent. Die Zahl der Illegalen in Südafrika wird auf 3 Millionen geschätzt. Vor Ort stoßen viele auf Ablehnung; der Vorsatz, Geld zur Unterstützung ihrer Angehörigen daheim zu verdienen, lässt sich nicht umsetzen.
Die Wahl: Am 29. März stehen in Simbabwe Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an. Der 83-jährige Robert Mugabe, der seit 28 Jahren regiert, will im Amt bleiben. Seit kurzem gibt es einen Herausforderer aus seiner eigenen Partei, Zanu-PF. Sein früherer Finanzminister Simba Makoni wird als unabhängiger Kandidat antreten. Die Oppositions-Bewegung für demokratischen Wandel (MDC) ist gespalten. Eine Fraktion unterstützt ihren eigenen Mann, Morgan Tsvangirai, die andere Simba Makoni, der unabhängig antritt. Es werden erhebliche Wahlfälschungen erwartet.
Alpha Zhou ist hier der Helfer in der Not. Der 42-jährige Lehrer aus Simbabwe kennt viele der 1.300 Menschen, die vor Chaos und wirtschaftlichem Zusammenbruch jenseits des Limpopo-Flusses hierhergeflohen sind. Er weiß um ihre Schicksale. Alle haben ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um in Johannesburg - Egoli, wie die Stadt auf Zulu genannt wird - Geld zu verdienen. "Damit unterstützen wir unsere Angehörigen drüben", sagt Zhou. Für die meisten bleibt es eine Illusion, sie werden in Südafrika als illegale Arbeitskräfte ausgenutzt und kämpfen ums Überleben.
Alpha Zhou selbst hat in der Central Methodist Church von Bischof Paul Verryn Unterschlupf gefunden. Die Adresse des Gotteshauses in der Innenstadt hat sich herumgesprochen, in Simbabwe wissen Verzweifelte, dass der Bischof in Südafrika seine Tür für Bedürftige öffnet, trotz des zunehmenden Ärgers mit seiner Gemeinde. Nacht für Nacht verwandelt sich das fünfstöckige Gebäude in eine Herberge, tagsüber kehrt der normale Alltag ein. "Frühmorgens sind alle Schlafstätten verschwunden", sagt Zhou, "wir putzen und verstauen unser Gepäck in den Winkeln." Zum abendlichen Gottesdienst kehren sie zurück, das gehört zur Hausordnung. Aber das Gebäude hält den Zustrom der Massen immer weniger aus: Das Mobiliar ist verschlissen, die Abflüsse verstopfen, Menschen stehen Schlange an den wenigen Toiletten und Wasserhähnen - die Rechnung für Wasser und Strom hat sich in diesen letzten beiden Jahren verdoppelt. Inzwischen sind hier 6.000 Leute, zu 95 Prozent Simbabwer, durchgeschleust worden.
Nicht ohne Konflikte; erst kürzlich wurden zwei Menschen ermordet, es war Alkohol im Spiel. Und es gab eine Razzia der Polizei. In den frühen Morgenstunden jagten Drogenhunde in die Kirche, Polizisten suchten Waffen und schlugen mit Schlagstöcken auf Flüchtlinge ein, sie schubsten sogar den Bischof herum. 520 Personen wurden verhaftet, obwohl die meisten Papiere als Asylsuchende vorzeigen konnten. Nur 15 illegale Flüchtlinge waren die "Beute" der Polizei. "Ein geringfügiges Vergehen, das diese menschunwürdige Behandlung nicht rechtfertigt", sagt Bischof Verryn. Er fühlte sich an das brutale Vorgehen der Sicherheitspolizei während der Apartheid erinnert: "Ich schämte mich, Südafrikaner zu sein. Polizisten suchten Kriminelle und wurden am Ende selbst kriminell."
Laut Gesetz soll die Polizei Asylsuchenden beistehen, sagt der Bischof. Stattdessen würden sie verfolgt. Ausländerfeindlichkeit ist ein großes Problem in der noch jungen Nation Südafrika. Als schwarze Südafrikaner für ihre Rechte im weißen Terrorstaat kämpften, fanden sie offene Arme bei vielen afrikanischen Nachbarn. "Heute empfinden sie uns trotz unserer Not als Bedrohung", klagen die Flüchtlinge, von denen viele eine bessere Ausbildung haben als die Mehrheit der Einheimischen. Zusammen mit Menschenrechtsorganisationen ruft Bischof Verryn nach Dialog und Bewusstseinsbildung. "Sie sorgen sich, wie sie ihre Familien ernähren können - das ist nicht kriminell", ärgert er sich; das unangemeldete Eindringen in seine Kirche verurteilt er als "Übertritt der Polizei". 78 der Festgenommenen waren laut Ärzte ohne Grenzen verletzt. Eine schwangere Frau wurde vom Hospital abgewiesen, sie verlor ihr Kind.
In einem überfüllten Raum hängen abgenutzte Zweiplattenkocher an losen Steckdosen, Elisabeth Moyo kniet auf der Erde und rührt Maisbrei an, es ist die einzige Mahlzeit heute. Die 45-Jährige hat Depressionen, sie spricht mit leiser Stimme. Seitdem ihr Mann, ein Offizier in Präsident Robert Mugabes Armee, 2003 vom Einsatz im Kongo nicht zurückkam, musste sie mit einer schmalen Rente auskommen. "Bei der Inflation reicht das nicht zum Leben", erklärt sie. Ihre beiden schulpflichtigen Kinder ließ sie bei der Mutter, den Weg zum Grenzposten Beitbridge finanzierte sie sich mit dem Verkauf ihres Kühlschranks. An der Grenze überquerte sie bei niedrigem Wasserstand den Limpopo-Fluss, in dem es vor Krokodilen wimmelt, kletterte durch den löchrigen Stacheldrahtzaun und fuhr per Lastwagen sechs Stunden gen Süden.
Sie ist enttäuscht von Johannesburg. "Die Inder in der Stadt, die uns manchmal anheuern, zahlen für Waschen und Bügeln nur 25 Rand (2,50 Euro), dabei dauert die Arbeit den ganzen Tag", klagt sie. Was in Simbabwe mit ihrem Mann geschehen ist, weiß sie nicht. Sie selbst hatte daheim die Opposition unterstützt, Mugabes Schlägertruppe, die Kriegsveteranen, bedrohten sie. "Sie klopften mehrmals an die Tür und zwangen mich, zu ihren Parteitreffen zu gehen. Dafür bekam ich etwas Speiseöl und Maismehl", erinnert sie sich. Niemand, sagt sie, wolle Mugabe und seine Gefolgsleute bei der Wahl im März seine Stimme geben, die Simbabwer seien fertig mit dem Machthaber. "Im letzten Jahr hatten einige Generäle einen Putschversuch vorbereitet", wisse sie von Freunden ihres Mannes. "Doch das flog auf, und plötzlich starben fünf höhergestellte Armeeangehörige, angeblich durch Unfälle und Krankheiten." Elisabeth Moyo schüttelt ungläubig den Kopf.
In einem alten Sessel sitzt Molly Maganga, sie wiegt ihr zwei Wochen altes Baby im Arm. Hochschwanger war sie über die Grenze geflüchtet, auf einer der schäbigen Toiletten in der Kirche hat sie den kleinen Dennis geboren - der Krankenwagen kam zu spät. "Aber wir haben hier ja Profis, eine Hebamme hat mir geholfen", lacht sie. Als Lehrerin in Simbabwe verdiente sie nur noch fünf Euro im Monat. "Da kann ich meine Zeit auch besser nutzen." Aber ihre Hoffnung auf einen Job in Südafrika hat sich nicht erfüllt. Sie hofft weiter, schließlich will sie ihren Töchter in Simbabwe die Universität bezahlen.
Auf einer rohen Bretterwand hängen Kindersocken zum Trocknen, dahinter hausen Ronny Masina und seine Frau. "Privatsphäre gibt es hier nicht", sagt er, "Sonntags gehen wir wenigstens in den Park oder ins billige Kino." Der 30-jährige ehemalige Hotelangestellte kam auch durch den Limpopo hierher. Er floh mit einer Gruppe von 70 Leuten, bewaffnet mit Steinen und Schleudern, denn im simbabwischen Grenzgebiet liegen Diebe auf der Lauer. Sie überfallen die Flüchtenden und vergewaltigen Frauen. Mit Schmiergeld für die Polizeiposten und Lkw-Fahrer ging es dann weiter nach Johannesburg. Genauso einfach auch zurück: "Weihnachten sind wir kurz nach Hause gefahren, um die Familie zu sehen." Manch einer lässt sich auch absichtlich verhaften, um kostenlos deportiert zu werden und später wiederzukommen.
Die 40-jährige Sheila Zhou, eine Verwandte von Alpha, hat seit der Polizeirazzia noch mehr Angst. Sie will nicht abgeschoben werden, flüsternd erzählt sie, was hier niemand wissen darf: "Ich bin HIV-infiziert. Ich muss vitaminreicher essen, hast du einen Job für mich? Die Medikamente, die mein in London lebender Bruder bisher bezahlt hat, sind bald alle." Ihr Ehemann und das jüngste Kind sind in Simbabwe an Aids gestorben. Ihr neuer Freund, den sie hier in der Kirche kennengelernt hat, weiß nichts von ihrer Krankheit. "Wir benutzen ein Kondom", versichert sie.
Weiter geht es durch die nächtliche Kirche. Im fünften Stock, vor dem Büro des Bischofs, schlafen die Neuankömmlinge. Der Bischof ist überarbeitet, Alpha Zhou, hilft ihm mit der Verwaltung, jeder Hausbewohner muss registriert werden. "Es ist ein Querschnitt durch die simbabwische Bevölkerung, sie sind traumatisiert, krank und erschöpft", sagt der Lehrer.
Auch er bekommt wenig Schlaf. Tagsüber schuftet Zhou als Schwarzarbeiter auf dem Bau, nachts ermutigt er seine Landsleute, nicht aufzugeben. "Wenn wir zurückgehen, wollen wir andere Simbabwer sein und die Zeit, die Mugabe uns stiehlt, genutzt haben." Die meisten der 300 Lehrer warten noch auf Unterstützung von Firmen und Spendern, denn die Anerkennung ihrer Ausbildungsdokumente von den südafrikanischen Behörden kostet Geld. Ihre Kenntnisse werden dringend gebraucht, also hoffen sie auf längerfristiges Asyl. "Wir wollen hier eine Bildungsstätte aufmachen", ist Zhous Vision, schon jetzt stehen fünf Computer bereit. Zhous erstes Projekt in der Kirche war eine Klinik, dann die Babykrippe unterm Dach. Wenn die Mütter tagsüber nach Arbeit suchen - und manche aus Not auch der Prostitution nachgehen -, kümmert sich eine bezahlte Kinderfrau um derzeit fünfzehn Säuglinge.
"Es ist ureigene Aufgabe der Kirche, die Armen aufzunehmen", meint Bischof Verryn. "Aber sie kommen nicht in geordneten Reihen, sie kommen im Kampf um sauberes Wasser und ein Stück Seife." Es sei eine andere Art Kirche, eine Möglichkeit, auf menschlicher Würde zu bestehen. Vor dem Eingang der überfüllten Kirche haben sich Männer im Nieselregen zum Schlafen niedergelegt.
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