Sikh-Führer getötet: Mord in Wien erschüttert Indien
Als Reaktion auf den Mord an einem Sikh-Führer in einem Wiener Gebetstempel liefern sich dessen Anhänger Straßenschlachten mit der Polizei. Mindestens zwei Menschen sterben.
Der nordindische Bundesstaat Punjab brennt. In allen großen Städten zogen am Montag wütende Anhänger des am Wochenende ermordeten Sektenführer Guru Sant Ramanand mit Stahlstangen und Säbeln bewaffnet durch die Straßen, zerstörten Polizeireviere und zerschlugen die Scheiben von Bussen. In der Stadt Jalandhar, dem Zentrum der Unruhen, lieferten sich aufgebrachte Mobs schwere Straßenschlachten mit der Polizei. Andernorts blockierten Protestierende eine wichtige Hauptverkehrsstraße und steckten Zugwaggons in Brand.
Der Überfall auf einen Sikh-Tempel in Wien, bei dem am Wochenende das geistliche Oberhaupt der Ravidasi-Sekte getötet wurde, hat eine Gewaltwelle losgetreten, wie sie der Punjab lange nicht gesehen hat. Die Landesregierung erließ umgehend eine Ausgangssperre, an die sich vielerorts jedoch die Demonstranten nicht hielten. Im gesamten Bundesstaat wurde die Armee in Alarmbereitschaft versetzt, in manchen Städten zogen bereits erste Einheiten durch die Straßen. Am späten Nachmittag zeigten Nachrichtensender Bilder von Zusammenstößen, bei denen Anhänger verfeindeter religiöser Gruppen brutal aufeinander einschlugen. Zunächst war die Rede von zwei Todesopfern; die Wucht der Zusammenstöße lässt jedoch befürchten, dass mehr Menschen ums Leben gekommen und weitaus mehr verletzt worden sind.
Indiens Premier Manmohan Singh rief die Menschen dazu auf, ruhig zu bleiben. "Ich bin zutiefst erschüttert über den Ausbruch von Gewalt, der gewissen Vorfällen in Wien folgt", sagte Singh, selbst ein Anhänger der Sikh-Religionsgemeinschaft.
Bei dem Attentat auf zwei indische Gurus in einem Wiener Sikh-Gebetshaus am Sonntag waren zudem 16 Personen zum Teil schwer verletzt worden - darunter der 68-jährige Prediger Sant Niranjan Dass. Die sechs mutmaßlichen Attentäter wurden festgenommen oder stehen im Krankenhaus unter Polizeibewachung. Zwei von ihnen erlitten durch Kopfschüsse lebensgefährliche Verletzungen, wie die Polizei meldete.
Die Sikhs, zu deren Religion sich etwa 20 Millionen Menschen vor allem in Indien bekennen, sind in Österreich keine anerkannte Religionsgemeinschaft, bisher aber nie durch Gewalttätigkeit aufgefallen. Der jüngste Bericht des Verfassungsschutzes widmet ihnen keine einzige Zeile. Unter den fünf Merkmalen der getauften Sikhs haben in Österreich das ungeschnittene Haar, der Bart und das Tragen eines Dolchs wiederholt zu Problemen im öffentlichen Dienst und der Armee geführt. Doch sind die Dolche in der Regel ungeschärft. Der Glaube der Sikhs lehnt das indische Kastenwesen ab. Dennoch sind Standesdünkel keineswegs überwunden. Die Dalits, die Unberührbaren, sind oft besonders flexibel.
Das dürfte auch beim blutigen Konflikt in Wien eine Rolle gespielt haben. Kumar Balvinder, der Vizepräsident des Tempels in der Nähe des Wiener Westbahnhofs, mutmaßt, dass die Attacke von Strenggläubigen ausging, die nicht tolerieren wollten, dass auch Mitglieder ohne Bart und Turban aus dem heiligen Buch lesen durften, wie es im Gebetshaus in der Pelzgasse der Fall war.
Die beiden Prediger gehören der Glaubensrichtung Dera Sachkhand an, die sich besonders bei Dalits großer Beliebtheit erfreut. Auslöser des Attentats dürfte die Überreichung einer Siropa, eines Schals, der nur von besonders ehrwürdigen Personen getragen werden darf, an einen der Prediger gewesen sein. Dass Polizeischutz erbeten worden sei, weil die Verantwortlichen Drohungen erhalten hatten, wird von der Polizei bestritten.
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