: Sigge-sigge-wush
Besessene unterwegs – in einem Film über Freundschaft und Respekt im HipHop, der auf jede Kamerawackelei zur Untermauerung von Authentizität verzichtet: Doug Prays Dokumentation „Scratch“ fängt im Metropolis die Essenz des DJ-Handwerks ein
Alles fing an mit GrandWizard Theodores Mutter. Weil die Musik mal wieder zu laut war für Mums Ohren: Boom, boom, boom an seiner Tür und Drohung mit Musikentzug. Er packt die Platte – und da war er, der erste Scratch.
20 Jahre und eine Turntable-turns-into-instrument-Bewegung später ist Regisseur Doug Pray etwas Seltenes gelungen: Scratch, seine Doku über HipHop. Auf fast anderthalb Stunden fängt Pray die Essenz des DJ-ens ein, auf 16 mm, wie sich das für eine Hommage nicht zuletzt ans Vinyl gehört. Schwer zu sagen, ob die Musik, die Interviews, die Live-Mitschnitte oder der Verzicht auf jegliche Authentizität vortäuschende Kamerawackelei das Beste daran ist.
Mit dabei so ziemlich alle, die im US-amerikanischen scratching, beat-juggling und turntablism einen Namen haben: von Qbert und MixMasterMike über Rob Swift, Becks DJ-Partner DJ Swamp und DJ Shortee, eine der wenigen Frauen in der Szene, bis hin zu – wem sonst? – den Innovatoren Afrika Bambaataa oder GrandMixer DST, der 1984 mit seinem Sigge-sigge-wush in Herbie Hancocks „Rockit“ eine ganze Generation von DJs infizierte.
Wenn MixMasterMike erzählt, wie eines Nachts vor seinem Fenster Lichtsäulen auf den Rasen des Football-Stadions runtergingen, und er sich für einen Moment fragte, ob er gerade mit Außerirdischen kommuniziert hatte, dann wird das vorstellbar. DJ-ism als kosmische Angelegenheit. Oder wenn Cut Chemist erzählt, wie er in einer Stadt in North Carolina Platten kaufen wollte, aber in den Telefonbüchern alle Seiten mit entsprechenden Läden fehlten, und ein DJ-Freund ihm sagte, „Hey, ich war einfach vor dir da“, wird klar: Besessene unterwegs.
„Believer“, Gläubige, wie Jazzy Jay über sich selbst sagt. Nachts sechs, sieben Stunden in einem Club auflegen, nach Hause kommen, die Plattenspieler aufbauen und sechs, sieben Stunden weitermachen, „weil ich das einfach machen musste“. Ein innerer Zwang, der ihn zum Besitzer von mehr als 350.000 Platten gemacht hat.
Da sind die internationalen DJ battles wie DMC oder ITF, bei denen es laut Steve Dee heißt: „Freunde, was für Freunde? Ich werde deine Kinder fressen!“ Und gleichzeitig ist Scratch ein Film über Freundschaften und Respekt. Über MixMasterMike etwa, der sich vor Jahren von Qbert tagelang über die Schulter schauen ließ, so dass der heute als bester Techniker aller Zeiten gilt und nun selbst eine Lebensaufgabe darin sieht, möglichst viele Tricks an möglichst viele weiterzugeben.
Scratch zeigt Musikgeschichte. Klärt über die Unterschiede von Rap und HipHop auf. Erklärt die Funktion eines Faders, und warum es sich lohnen kann, ein Jahr auf Wein und Frauen zu verzichten. Scratch ist ein Film über Passion, auf Musiker- oder Produzentenseite. Ist anderthalb Stunden Spiel, Spaß und Spannung und verrät nebenbei einen Weg ins Nirvana: „Du spielst kein Instrument“, sagt Qbert, „du bist das Instrument – und das Universum spielt dich.“ Silvia Feist
mit Vorfilm Rollen Aller und The Puppetmastaz (live): Do, 21.15 Uhr, Metropolis
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