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Siemens fördert Frauen in eigenen AusbildungsklassenWeibliche Lehrtechnik

Siemens will mit einer speziellen Ausbildung dem Fachkräftemangel entgegen wirken: Der Konzern hat Frauenklassen eingerichtet, um Schulabgängerinnen Technikberufe schmackhaft zu machen.

Siemens-Gebäude in Berlin Bild: REUTERS

Der Kommandoton des Pförtners bei Siemens am Rohrdamm erlaubt kaum Widerspruch. "Du da", sagt er streng und deutet auf Franziska Hoffmann. Sofort springt sie auf. Bis eben saß sie mit einer anderen jungen Frau auf dem Besuchersessel im Pförtnerhäuschen. Die beiden fühlten sich - zum Spaß nur - gegenseitig den Puls. Mit ihren weißen T-Shirts, auf denen das türkisfarbene Siemens-Logo prangt, sehen sie aus wie Teilnehmerinnen eines Erste-Hilfe-Kurses des Werks. "Du da, zeig der Dame vom Arbeitsamt den Weg!" Für den Pförtner ist Franziska Hoffmann ein Du.

Für die Dame vom Arbeitsamt nicht. Sie sind also eine Teilnehmerin der Frauenausbildungsklasse bei Siemens?, fragt sie die 20-Jährige. "Ja." Wie das sei, wenn man nur mit Frauen zusammen lernt? "Am Anfang war es komisch. Da gab es viele Zickereien unter den Mädels." Mädels nennen sie sich. Mädchenklasse, nicht Frauenklasse. Und jetzt? "Jetzt ist es okay."

Hoffmann und die elf weiteren Frauen aus der Ausbildungsklasse "Elektronikerinnen für Betriebstechnik", die nächstes Jahr neben ihrem Facharbeiterbrief zugleich auch noch das Fachabitur machen, haben an diesem öffentlichen "Mädchentechniktag" nicht nur Unterricht. Sie müssen zudem Realschülerinnen, die demnächst auf Lehrstellensuche gehen, und Vertreterinnen vom Arbeitsamt zeigen, was man als Frau bei Siemens alles lernen kann.

In einem lichtdurchfluteten Raum des bis 1993 genutzten Werksgebäudes, in dem seit 1994 die staatlich anerkannte Werner-von-Siemens-Werkberufsschule untergebracht ist, sitzen die zwölf Frauen vor Computern. Neben ihnen stehen Wände, auf denen die Komponenten einer zentralen Sicherungsanlage montiert sind. Die angehenden Betriebselektronikerinnen müssen diese einrichten.

"Wir arbeiten nach dem EVA-Prinzip", sagt der Ausbilder Gerd Heldt. Soll heißen: Eingabe, Verarbeitung, Ausgabe. Die Auszubildenden müssen lernen, ein Steuerungsprogramm - sei es für zentrale Zugangskontrollanlagen, zentrale Kassensteuerungen, zentrale Identitätserkennungen - zu installieren, zu konfigurieren, zu bedienen und Fehler zu beheben, damit das EVA-Steuerungsprinzip ungestört funktioniert. "Klar schaffen wir das", sagen Hoffmann und die drei Jahre ältere Mitschülerin Maria Rattke, die ein Faible für Tätowierungen hat und deren Arme bereits mit Ornamenten verziert sind, die einem gotischen Musterbuch entnommen sein könnten.

Bei den eingeladenen Realschülerinnen indes, die Feuer fangen sollen an diesem Beruf, kommt die Demonstration nicht richtig an. Manche wirken gelangweilt und stecken sich Kopfhörer ins Ohr. Auch als sie sich von den Auszubildenden mit einem elektronischen Spiel in die Geheimnisse von Kondensatoren, Leuchtdioden und Widerständen, Logik und Licht einführen lassen sollen, kommt kaum freudige Spannung auf.

Seit drei Jahren experimentiert Siemens in Berlin mit reinen Frauenklassen. "Betriebselektronikerin oder Mechatronikerin kann man in den Frauenklassen lernen", zählt der Chef des Bewerbermarketings, Norbert Giesen, auf. Selbstverständlich könnten Mädchen sich auch für jeden anderen der 13 unterschiedlichen Ausbildungslehrgänge - die integrierten Bachelorstudiengänge nicht mitgerechnet - bewerben, sagt Giesen. "Wir machen keine Unterschiede, ob Mädchen, ob Junge." Dass seine Worte Theorie sind, weiß er. Denn in der Praxis sind nur etwa 9 Prozent der 1.100 jungen Leute, die in Berlin ausgebildet werden, Frauen.

Die schlechte Quote war bisher allerdings selten ein Grund, Mädchen speziell zu fördern. "Tatsächlich sitzt uns die Demografie im Nacken", gibt Giesen zu. Deshalb wird in den Konzernen vorausgedacht. Denn trotz des vor wenigen Wochen angekündigten massiven Stellenabbaus im Unternehmen - allein in Berlin sollen etwa 340 Jobs wegfallen, bundesweit mehr als 5.000 - erwartet man bei Siemens, dass der Facharbeitermangel bald groß sein könnte. Da geraten den Ausbildungsstrategen jene Gesellschaftsgruppen, die gern "stille Reserven" genannt werden, wieder in den Blick: Frauen gehören dazu. Aber auch - und das ist neu - Jugendliche mit schlechten Schulkarrieren und ohne Abschluss. Ab September laufen 35 solcher Jugendlichen, die noch vor fünf Jahren nirgendwo eine Chance gehabt hätten auf einen Ausbildungsplatz, bei Siemens Berlin in den regulären Ausbildungslehrgängen mit. Es können sowohl Jungs als auch Mädchen sein.

Frauen in Männerberufen auszubilden indes ist etwas Besonderes - Siemens hat keine so guten Erfahrungen damit gemacht, wenn ein oder zwei Mädchen unter lauter Jungen in den Ausbildungslehrgängen sind. "Es geht zulasten der Mädchen", sagt Norbert Giesen, der eigentlich Berufsschullehrer ist, in den 70er-Jahren jedoch kein Referendariat an einer staatlichen Schule bekam und bei Siemens landete. "Wir wissen doch, wie das ist", sagt er, "Frauen reagieren emotionaler. Da fließen auch mal Tränen." Bei den Jungs sei man damit schnell unten durch. Und die jungen Frauen, die eine Ausbildung etwa zum Industriemechaniker machten, hätten in der Regel vier, fünf Brüder und laufen als sechster durch, meint er. Nur welches Mädchen hat heute noch fünf Brüder?

Deshalb hat Giesen mit weiteren pädagogisch denkenden Siemens-Strategen nach anderen Wegen gesucht und Frauenausbildungslehrgänge eingerichtet. Drei Jahrgänge gibt es schon. Franziska Hoffmann und Maria Rattke sind von Anfang an dabei. Mit 24 jungen Frauen hätten sie in ihrer Klasse angefangen. Zwei Frauen seien ausgestiegen, weil sie feststellten, dass ein technischer Beruf nichts für sie ist. Drei seien schwanger geworden. Die konnten ein Jahr später in der Klasse darunter weitermachen.

"Wir mussten uns auch umstellen", sagt Giesen und meint die speziellen Aspekte, die bei weiblichen Lebensentwürfen dazu kämen. Wie Schwangerschaft etwa. Oder Liebeskummer, der existenziell werden kann. "Man kann auch nicht jeden Lehrer in eine Mädchenklasse schicken." Warum nicht? Geschlechtersensibilität wäre eben gefordert, meint er. Außerdem würden Frauen anders an Probleme herangehen: "Sie werfen einer Jungengruppe Teile hin, und die fangen an zu bauen. Frauen gucken sich das an und fragen: Wozu brauchen wir das?" Auch Heldt, der Dozent fürs EVA-Prinzip, sieht Unterschiede: Die Zusammenarbeit sei komplizierter in einer Frauenklasse. "Mehr Neid, mehr Konkurrenz, mehr Konflikte. "Quatsch", widersprechen Rattke und Hoffmann selbstbewusst. "Die Konflikte laufen nur anders ab."

"Es wurde viel herumexperimentiert, wie es am besten laufen könnte", sagt Rattke. Erst nachdem man die Klasse teilte in die, die Fachabitur machen wollen, und die, die das nicht wollen, wäre Ruhe eingekehrt. Dass den Auszubildenden aber die Möglichkeit geboten wird, gleichzeitig die Fachhochschulreife zu erwerben, hat ebenfalls mit modernem Ausbildungsmarketing zu tun. Für Giesen ist klar: "Einmal einen Beruf lernen und den dann 50 Jahre ausüben, das gibt es nicht mehr." Man müsse Grundlagen schaffen, damit die jungen Menschen an lebenslanges Lernen herangeführt werden und durch ihre Qualifikation eine gute Ausgangsbasis für berufliche Veränderungen hätten.

Jetzt sind die angehenden Elektronikerinnen für Betriebstechnik mit Fachabitur aber erst einmal abgestellt, den jungen Realschülerinnen zu zeigen, was das für ein Beruf ist. Drei Dutzend Schülerinnen waren angemeldet, noch nicht mal die Hälfte taucht auf. Giesen, gewohnt, in ungewöhnlichen Bahnen zu denken, wertet schon das als Erfolg.

Die Mädchen, die sich für die Männerberufe interessieren sollen, tun sich allerdings schwer. Mit Metall arbeiten, mit elektrischen Kabeln, mit Batterien und Leuchtdioden einer Logik folgen, die selbst an der Schule in die Zuständigkeit der Jungs fällt - das passt nichts ins Lebenskonzept der Mädchen. Nicht in das der ganz Dünnen mit den traurigen Augen, die magersüchtig aussieht und es wohl auch ist. "Ich weiß nicht, was ich mal werden will", sagt sie. Ein dickes Mädchen, das sich mit ihrer Freundin auf Türkisch unterhält, weiß es dagegen genau: Modedesignerin, sagt sie. Eine ernst blickende Blonde will lieber etwas mit Musik machen. Nur die junge Frau, auf deren T-Shirt groß Feuerwehr steht, und ein sehr ernst wirkendes Mädchen zeigen sich interessiert. Die anderen schlurfen Giesen bei der Führung durch die verschiedenen Abteilungen des Werksgeländes teilnahmslos hinterher.

"Wenn Sie in die Schulen gehen und die Jugendlichen fragen, was sie werden wollen, hört man von den meisten: was mit Medien, was mit Medien", sagt Giesen. Handwerk - obwohl da ohne das Medium Computer gar nichts mehr läuft - interessiere nicht. "Dabei ist doch etwa ein Zerspanungsmechaniker, früher der belächelte Dreher und Rundmacher, heute so was wie ein Experte für digitales Feintuning im Metallbereich." Dies an die Jugendlichen zu bringen sei die Herausforderung.

Auch Franziska Hoffmann, die angehende Betriebselektronikerin, ist nur zufällig bei Siemens gelandet, weil ein Lehrer sagte, da solle noch was frei sein. Inzwischen jedoch hat sie, wie Maria Rattke, die nach was Handwerklichem gesucht hatte, verstanden, dass die Ausbildung ihnen Wege öffnet. Ob sie studieren werden, wissen sie aber noch nicht. "Erst mal was erleben", sagt Hoffmann. Rattke könnte sich vorstellen, ins Ausland zu gehen. "In Schweden suchen sie händeringend Elektronikerinnen." Ob sie sich auch Chancen ausrechnen, bei Siemens einen Job zu kriegen? Sie sind sich unsicher. Nur vier aus der Gruppe würden übernommen, meint Rattke.

Giesen sieht die Sache anders. Er geht davon aus, dass die meisten zum Wintersemester 2009 ein Studium beginnen. "Wenn nicht, muss ich mich ins Zeug legen." Siemens habe viel Geld in die Ausbildung der jungen Frauen gesteckt, da lasse man sie doch nicht von dannen ziehen.

Ein Problem jedoch hat er: "Zwar stellen wir hier die Ausbildung auf den Kopf, um sie für Frauen attraktiv zu machen, aber in den einzelnen Betriebsabteilungen trifft man doch wieder auf alte Strukturen. Die sind mitunter noch sehr männerdominiert." Deshalb, und das ist auch für Giesen ein Wermutstropfen, werden dieses Jahr keine neuen Frauenklassen eingerichtet. "Ich will erst mal gucken, wie die Mädchen, die jetzt durchlaufen, in den Abteilungen ankommen und sich durchsetzen", sagt er.

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