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Archiv-Artikel

ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL Sie schickt der Himmel!

Wie mich in der Stunde der Verzweiflung zwei Zeuginnen Jehovas retteten

Neulich, am Rande der Verzweiflung. Jede Rassel ist schon gerüttelt, jeder Topf schon geschlagen, jedes Klötzchen schon verbaut, draußen regnet es in Strömen, und die karrieresüchtige Rabenmutter wird erst in dreieinhalb Stunden erwartet. Der Junge schreit und schreit und schreit, und ich schreie bald auch. Ich kann nicht mehr. Jetzt muss etwas passieren.

Da passiert tatsächlich etwas.

Es klingelt an der Tür. Ich öffne. Zwei Frauen stehen vor meiner Schwelle. Eine Mitte dreißig. Eine Mitte fünfzig. Beide Typ Trockenpflaume. Mein Sohn guckt trotzdem mit großen Augen von einer zur anderen. Und: Er schweigt. Ich sage:

– „Guten Tag. Sie schickt der Himmel.“

Die beiden gucken nicht überrascht.

– „Guten Tag“, sagt die eine lächelnd. Und die andere: „Wir möchten mit Ihnen über die Bibel sprechen“.

Der Junge staunt immer noch. Er sieht zum ersten Mal in seinem Leben Zeugen Jehovas. Ich bitte herein. Zum ersten Mal in meinem Leben. Ich habe nämlich gelernt, das nicht zu tun. In meiner Kindheit hieß es, bei Zeugen Jehovas handele es sich ähnlich wie bei Kommunisten um gefährliche Verrückte, die allein deshalb einen gewissen Respekt verdienten, weil sie unter den Nazis gelitten hätten. Deshalb sei ihnen die Tür höflich zu weisen. Diese Höflichkeit habe ich später verloren. In einer WG, in der ich ein paar Semester lebte, machten wir uns einen Spaß, klingelnde Zeugen Jehovas anzublaffen: „Sind Sie erlöst? Na, Sie sehen mir aber gar nicht danach aus.“

Zuletzt hörte ich von der Sekte, als die Media-Markt-Werbefigur Oliver Pocher über seine Brutalo-Komik sagte: Während seiner Kindheit als Zeuge Jehovas habe er gelernt, „den Leuten einfach auf den Sack zu gehen“. Toller Verein.

Jetzt sitze ich also mit einer alten und einer mittelalten Zeugin in meinem Wohnzimmer. Wir haben alle eine Bibel auf dem Schoß und ein Glas Mineralwasser in der Hand. Wir lesen gemeinsam Bibelstellen, welche von den beiden mit Nachdruck vorgeschlagen und gleich interpretiert werden. Im Medienzeitalter ist das ein beinahe rührender Versuch der Manipulation. Man muss schon ziemlich verzweifelt sein, um sich davon ansprechen zu lassen. Ich bin nicht verzweifelt. Der Junge ist ja immer noch abgelenkt.

Für alle, die sich nicht sicher sind, wie verzweifelt sie sind, fasse ich die folgende halbe Stunde kurz zusammen. Falls ich etwas falsch verstanden habe, bitte ich hiermit alle Zeugen Jehovas um Verzeihung und garantiere: Satan steckt nicht dahinter.

Also:

1. Es heißt nicht Zeugen Jehovas, sondern Jehovas Zeugen.

2. Jehovas Zeuginnen heißen auch Jehovas Zeugen.

3. Wenn jemand krank wird, ist erstaunlicherweise nicht Gott dafür verantwortlich …

4. … sondern Adam, der unperfekt war und von dem wir leider alle abstammen.

5. Gott wird, wenn das Ende der Welt naht, einen Krieg gegen die Menschen führen.

6. Auf diesen Krieg freuen sich meine beiden Mineralwasser trinkenden, lächelnden Gäste.

7. Auf Nachfragen geben sie an, sie wüssten nicht, ob Oliver Pocher verschont wird.

Das mit dem Krieg haben wir nicht mehr ausdiskutieren können. Der Junge wurde wieder unruhig und störte die Verkündung des Wortes Gottes, nachdem er sich an seinen Jüngerinnen satt gesehen hatte. Immerhin ließen sie eine Broschüre da.

Die haben wir dann abends vorgezeigt, als meine Freundin von der Arbeit kam.

– „So verzweifelt waren wir heute“, sagte ich vorwurfsvoll.

– „Oh Gott“, sagte sie.

– „Eben“, sagte ich.

Später am Abend haben wir uns dann auf ein Verfahren geeinigt. Beim nächsten Mal, wenn ich verzweifelt bin, darf ich mir Mormonen nach Hause einladen. Aber bevor ich einen Vertrag bei Yellow Strom unterschreibe, nimmt sie einen Tag frei.

Sind Sie erlöst? kolumne@taz.de Montag: Stefan Kuzmany ist GONZO