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Sie kamen nur bis Driedorf

■ Kein zweites Gladbeck: In einem Wald in Hessen endete das Entführungsdrama

Berlin (AFP/taz) – Die Irrfahrt der Bankräuber und Geiselnehmer von Fulda durch sechs Bundesländer ist gestern zu Ende gegangen. Einer der Geiselnehmer, die am Montag nach einem Banküberfall mehrere Menschen als Geiseln auf eine Fluchtfahrt verschleppt hatten, wurde bei Driedorf in Hessen festgenommen. Nach Angaben des Landeskriminalamts in Wiesbaden wurde der 35jährige Gerhard Polak am Nachmittag gefaßt. Nach seinem 32jährigen Komplizen Raymond Albert werde noch gesucht. Die Polizei vermutete ihn in einem weiträumig von Polizei und GSG9 abgesperrten Waldstück. Die beiden Männer hatten ihre letzten drei Geiseln am frühen Morgen in Weilburg bei Limburg freigelassen.

Damit ist das spektakulärste Gangsterstück seit dem Geiseldrama von Gladbeck im August 1988 beendet. So sehr sich die Szenarien beider Entführungen ähneln, so offenkundig setzt die Polizei diesmal auf eine andere Taktik: Die Gladbecker Geiselnahme, bei der ein 15jähriger Italiener, eine 18jährige Schülerin und ein Polizist ihr Leben verloren, hat die Fahnder zu einem umsichtigeren, defensiveren Vorgehen veranlaßt. Um die Geiseln nicht zu gefährden, nahm sie sogar in Kauf, den Kontakt zum Fluchtauto der beiden Schwerverbrecher Raymond Albert und Gerhard Polak zu verlieren. Was auch prompt eintraf – mit dem Ergebnis, daß die Gangster ihre drei Geiseln freiließen und später gestellt werden konnten, ohne fremde Personen zu gefährden.

Anders als beim Gladbecker Geiseldrama auch die Polizeistrategie in Sachen Medienmeute: Der Pressepulk wurde vom Geschehen bis zu zehn Kilometer weit ferngehalten. Bei der Verfolgung der Bankräuber von Fulda habe es „nur zwei bis drei negative Vorfälle“ mit Journalisten gegeben, sagte der Sprecher des sächsischen Landespolizeipräsidiums, Volker Lange. Ein Mitarbeiter des TV-Senders RTL 2 sei kurzfristig „extrem gefährdet“ gewesen, als die Geiselgangster den Kameramann zur Herausgabe seines Wagens zwangen. Zweimal kamen Medienvertreter der Polizei mit gemieteten Hubschraubern in die Quere.

Zum Medienspektakel wurde die Flucht durch mehrere Bundesländer dennoch – vor allem, als die Geiselnehmer über Funktelefon Interviews gaben, die ganz oder in Teilen von RTL, RTL 2 und Sat.1 ausgestrahlt wurden. Vor laufender Kamera konnten sich die Geiselnehmer diesmal dagegen nicht produzieren. Die öffentlich-rechtlichen Sender verzichteten ganz auf Gespräche mit Geiselnehmern und „Jagdszenen“ live – so wie es die Richtlinien des Presserates nach Gladbeck festschreiben.

Sorgsam achtete die Polizei in Thüringen, Sachsen und Hessen darauf, daß die Medienvertreter dem Verbrecherduo nicht zu nahe kommen konnten und kilometerweit hinterherfuhren. Mit Polizeifahrzeugen wurde der Troß der Berichterstatter auf der Autobahn ausgebremst. Tagesthema Seite 3

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