Sie erheben den rechten Arm

Die zu Silvester geplante „Lichtkathedrale“ provoziert Missverständnisse. Doch das Bild, das die Berliner Republik zur Millenniumsfeier präsentiert, wird kaum debattiert    ■ Von Gereon Asmuth

Ein Szenario: In der Silvesternacht stehen die Massen in der Hauptstadt dicht gedrängt um die Siegessäule. „In einem Moment der Stille“, so will es Gert Hof, Regisseur des Millenniums-Events, werden 250.000 Menschen mit Taschenlampen die Säule anleuchten. Um den Vorstellungen des Regisseurs gerecht zu werden, müssen sie naturgemäß den rechten Arm erheben. Dann wird Hof an die Regler treten. Die Säule strahlt zurück. 250 Scheinwerfer werden eine gigantische „Lichtkathedrale“ in den Himmel projizieren. 70 Kilometer hoch.

Das Spektakel soll nicht nur bis Hamburg oder Dresden sichtbar sein. Auch das Fernsehen wird das Berlin-Bild weltweit übertragen. So könnte die Bundeshauptstadt gleich zu Beginn des neuen Jahrtausends international für Schlagzeilen sorgen.

Das zumindest befürchtet Hilmar Hoffmann. Den Präsidenten des Goethe-Instituts erinnert das Lichtspiel „fatal an das Dritte Reich“. Hoffmann organsierte für die Bewerbung Berlins um die Olympiade 2000 das Kulturprogramm. Schon damals sei im Ausland bemängelt worden, dass das Berliner Olympiastadion noch heute mit den Statuen aus der Nazizeit geschmückt ist.

Doch trotz dieser unbewältigten Vergangenheit ist das Bild, mit dem die Berliner Republik ins neue Jahrtausend starten wird, bisher kaum diskutiert worden. Das liegt zum Teil daran, dass der Berliner Senat wie in den vergangene Jahren die Feierlichkeiten der privaten Silvester in Berlin GmbH (SiB) überließ. In ihrem Auftrag konzipierte die Firma „art in heaven“ das Lichtevent.

Die Landesregierung hat ihren Einfluss praktisch völlig abgegeben. Zwar gibt es für die Koordination der Veranstaltungen in der Silvesternacht einen Programmbeirat. Die künstlerische Konzeption liegt aber allein in den Häden der Veranstalter.

Auf politischer Ebene läuft die Diskussion somit eher verhalten. Am Donnerstagabend hat zwar immerhin das Berliner Abgeordnetenhaus die Show debattiert. Die PDS beantragte, auf das Spektakel „aufgrund der sprachlichen und konzeptionellen Nähe zum Lichtdom des Hitler-Architekten Albert Speer zu verzichten“. Doch die große Koalition aus SPD und CDU setzte durch, dass der Senat vor einer „in seiner Kompetenz liegenden Entscheidung“ zunächst prüfen solle, „inwieweit die öffentlich geäußerten Bedenken zutreffen“.

Der Umfang der Debatte steht damit einem krassen Gegensatz zur Mega-Dimension der Show, vor allem aber zu ihrer Bildmächtigkeit. Das zeigt schon ein Blick auf die Computersimulation mit bewegten Bildern im Internet unter www.artinheaven.de. Die Parallele ist unübersehbar.

Hitlers Baumeister Albert Speer illuminierte während der Olympischen Spiele 1936 mit Flakscheinwerfern den Himmel über dem Berliner Olympiastadion. Ein Jahr später richtete er 130 Flakscheinwerfer in den Reichsparteitagshimmel über Nürnberg.

„Ich benutze das Sechsfache“, versucht sich Regisseur Gert Hof von der Ästhetik des Faschismus abzugrenzen. „Der bloße Scheinwerfer hat mit dieser grausamen Zeit nichts zu tun.“ „Licht ist unpolitisch“, meint auch Peter Massin, Sprecher von „art in heaven“. Es komme darauf an, was man daraus mache. Ein Gesamtkunstwerk, eine Inszenierung im öffentlichen Raum wirkt aber mindestens über drei Komponenten. Neben dem eingesetzten Stilmittel spielen vor allem Ort und Zeit eine Rolle.

Gert Hof wird mit einer ähnlichen Lightshow auch die Olympiade 2000 im australischen Sidney eröffnen. Ein Jahr später will er den New Yorker Central Park erleuchten. Mag sein, dass die Lightshow an diesen Orten als unpolitisch durchgehen kann. Doch die Hauptstadt des „Tausendjährigen Reichs“ ist gerade zur Jahrtausendfeier ein anderes Pflaster.

Auch die Geschichte der Siegessäule ist nicht unbelastet. 1873 wurde sie von Kaiser Wilhelm I. vor dem Reichstag eingeweiht. Sie sollte die preußischen Siege über Dänemark, Österreich und Frankreich verherrlichen. Die Nationalsozialisten pflanzten sie 1938 um: an den Großen Stern mitten im Tiergarten, auf einer mehrere Kilometer langen Sichtachse vom heutigen Palast der Republik im Osten bis über den Ernst-Reuter-Platz im Westen hinaus.

Die Inszenierung erkläre die „Siegessäule erneut zum Denkmal“, kritisiert Wolfgang Wippermann, Historiker an der Freien Universität Berlin. Damit gehe zum Ende des Jahrhunderts die Botschaft einher: „Wir haben doch wieder gesiegt.“

Ein Szenario: Die alkohlbeseelten Massen verweigern sich dem Konzept des großen Dirigators Gert Hof. Statt die Siegessäule anzustrahlen, widmen sie sich den Sektflaschen und ballern die üblichen Knaller durch die Gegend. Dann würde eintreten, was Andreas Nachama, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin erwartet: „Eine Karikatur von dem, was Speer gemeint hat“. Vielleicht fällt dank des Millennium-Bugs auch der Strom aus.

Ein anderes Szenario: Vielleicht rechtsextreme, vielleicht einfach nur besoffene Gäste des Spektakels beginnen das Deutschlandlied zu singen. Die erste Strophe. Der Rest folgt den Gesetzen der Massenpsychologie.

Der 1951 in Leipzig geborene Gert Hof wird in einer im Internet verbreiteten Selbstdarstellung als Provokateur dargestellt, der „kein Tabu unangetastet lässt“. Auf einer Theaterbühne ließ er ein Hakenkeuz aus Scheinwerfern erstrahlen, für Musikvideos der Gruppe Rammstein spielte er mit der Filmästhetik der Nazi-Dokumentaristin Leni Riefenstahl.

Ein Ausblick: Die Silvestershow von Gert Hof wird provozieren. Auch und gerade eine Diskussion über die Verwendung einer durch politischen Einsatz belasteten Ästhetik. Die geplante Bündelung der Stilmittel Licht und Massen mit Ort und Zeit wird aber vor allem eines bieten: ein Forum für Missverständnisse.