Sicherheit in Berlin: Das Prinzip Sodom & Gomorrha
Wieder hat es einen Angriff in einem Berliner U-Bahnhof gegeben – diesmal mit tödlichem Ausgang. Kann man sich in der Hauptstadt noch vor die Tür trauen?
BERLIN taz | "Für mehr Sicherheit und Sauberkeit: Beachten Sie das Rauchverbot", dieser Slogan flimmert nun schon seit Jahren auf den digitalen Anzeigetafeln der Berliner U-Bahnhöfe. Und schon seit Jahren fragt man sich, worin eigentlich der Sinn dieser Wortgirlande bestehen könnte: Verursacht Rauchen Unsicherheit? Ist man irgendwo sicherer, wenn es sauber ist?
Zigaretten spielten jedenfalls eine Rolle bei dem jüngsten Zwischenfall in der Berliner Untergrundbahn, bei der ein junger Mann am Sonnabend auf der Flucht vor zwei Agressoren ums Leben kam, weil er in ein Auto rannte. Die Täter waren mit ihm in Kontakt getreten, weil sie eine Zigarette haben wollten.
Nun könnte man ja einfach mal behaupten, dass der junge Mann noch am Leben wäre, wenn sich die Täter an das Rauchverbot gehalten hätten und ergo auch nicht nach einer Zigarette gefragt hätten. Aber das wäre doch ziemlich verrückt.
Vielmehr lebt Berlin, wie alle großen Städte, vom Prinzip Sodom & Gomorrha: Es gibt Schmutz und Lärm. Es gibt Menschen mit Blinklichtern an den Ohren und solche mit Psychosen. Andere wiederum ziehen kleine Lautsprecherwagen hinter sich her, die "Hare Krishna" quäken. In den öffentlichen Verkehrsmitteln werden Nüsse geknackt, Verschwörungstheorien verkündet und manchmal kommt es sogar zu Oralverkehr.
Es wird auch immer wieder vorkommen, dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt - insbesondere unter jungen Männern. Das ist nicht schön. Es ist schrecklich, wenn die Opfer ihr Leben verlieren oder bleibende Schäden davontragen.
Angst haben vor allem die Älteren
Das lässt sich zugegeben entspannt vortragen, wenn man selbst außerhalb der Gefahrenzone ist, zum Beispiel, indem man bereits ein gewisses Alter erreicht hat und sich so nicht mehr im Wahrnehmungsbereich der Agressoren befindet. Die Opfer körperlicher Gewalt, es sind meist junge Männer. So wie die Täter. Angst haben aber nun vor allem die Älteren. Überwachungskameras sollen her, mehr Wachschutz und überhaupt: mehr Law & Order.
In Anbetracht einer insgesamt sinkenden Zahl von Verbrechen in Deutschland steht man verwundert vor jener steigenden Fieberkurve, die Angst und Verunsicherung anzeigt. Die immer schlimmer werdende Jugend, die immer gefährlicher werdenden Städte, der Moloch Berlin mit seiner lebensgefährlichen Untergrundbahn, Ghettos, brennenden Mülltonnen … auch Letzteres ist nicht präzise. Es brennen Autos und die TäterInnen wollen sich keineswegs an ihrem Feuerschein wärmen, weil sie kein Dach über dem Kopf haben.
In Wirklichkeit sind mulmige Gefühle eher angebracht, wenn man sich außerhalb der Städte bewegt. Also auf dem infrastrukturell immer mehr ausdünnenden flachen Land. Dort, wo die Polizei nur einmal in der Woche Sprechstunde hat, ist es viel gefährlicher, jemandem zu begegnen, der einem Übles will.
Das kalte Gruseln kann einen überkommen in Regional-Bahnen, ganz ohne Personal. Wo soll man aussteigen, wenn eine Gruppe alkoholisierter, pöbelnder Kraftmeier zusteigt? In den Wald rennen? Da sind dann womöglich Wölfe! Am besten ist wohl doch: Ruhe bewahren und eine rauchen.
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