Sicherheit, Gegengipfel, Anwohnerschutz: „Nerven behalten und Bürgerrechte bewahren“
Hamburgs grüner Justizsenator warnt vor der Kriminalisierung der eigenen Bevölkerung beim G20-Gipfel im Juli nächsten Jahres.
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Die Staats- und Regierungschefs von 19 Industrie- und Schwellenländern, darunter der USA und Russlands, werden erwartet, dazu ihr diplomatisches und sicherheitstechnisches Gefolge: Mindestens 6.000 Teilnehmer dürften sich zwei Tage lang in der Stadt aufhalten, etliche schon lange vorher und noch Tage danach. An kontroversen Themen – von Flüchtlingsdramen bis Handelsabkommen – mangelt es nicht, die potenzielle Gefahrensituation liegt auf der Hand. „Wir wissen, dass wir eine Bedrohungslage haben“, sagt Steffen, ohne aber ins Detail gehen zu wollen.
Wie die Sicherheit der Gipfelteilnehmer zu gewährleisten ist, ist derzeit Thema zwischen Hamburg, Bund, Länder- und Bundespolizei sowie diversen Nachrichtendiensten. Dabei geht es unter anderem darum, Bausteine des Sicherheitskonzepts für Olympische Spiele zu übernehmen; darum hätte sich Hamburg ja beinahe beworben.
Demnach ist mit dem Einsatz von rund 9.000 Polizisten zu rechnen, denn geschützt werden müssen neben den Messehallen auch etwaige andere Treffpunkte wie das Rathaus oder die Elbphilharmonie; dazu eine Reihe von Hotels, in denen sich die Delegationen einquartieren. Das könnte zu zeitweisen Sperrungen der zentralen Verkehrsachse Lombards- und Kennedybrücke führen und vielleicht sogar zu einem Segelverbot auf der Außenalster, an dessen Ufer derzeit noch das US-Generalkonsulat residiert, ebenso das Hotel Atlantic und andere Luxusherbergen.
Im geltenden Hamburger Polizeigesetz aus dem Jahr 2005 können – abgesehen von konkreten Orten wie etwa Kriminalitätsschwerpunkten – auch öffentliche Räume wie zum Beispiel ganze Stadtteile zu Gefahrengebieten erklärt werden.
Die Polizei darf dort ohne konkreten Anfangsverdacht Ausweiskontrollen durchführen, in Taschen gucken, Aufenthaltsverbote aussprechen und Menschen in Gewahrsam nehmen.
Ende 2014 und Anfang 2015 waren nach linken Demonstrationen weite Teile von St. Pauli und des Schanzenviertels zu Gefahrengebieten erklärt worden. Auch Anwohner und Arbeitnehmer wurden kontrolliert – dabei wurde auch die zum Symbol gewordene Klobürste konfisziert, die ein Anwohner gerade im Drogeriemarkt gekauft hatte.
Gegenüber der taz stellt Justizsenator Steffen klar, „dass wir die Anwohner schützen müssen“, und zwar die in den Vierteln, die an das Messegelände grenzen. „Wir dürfen die eigene Bevölkerung nicht kriminalisieren“: Das Karolinen- und das Schanzenviertel gilt manchem als Bastion von Anarchos und Autonomen.
Steffen setzt auf eine Neuregelung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (SOG), auf die sich die rot-grüne Koalition Ende April verständigt hatte: Noch vor der Sommerpause soll das Gesetz der Bürgerschaft zur Beschlussfassung vorgelegt werden. Danach würden die polizeilichen „Gefahrengebiete“ (siehe Kasten), welche das Oberverwaltungsgericht Hamburg im Mai 2015 für verfassungswidrig erklärt hatte, ersetzt: einerseits durch „gefährliche Orte“, wie es etwa Schwerpunkte des Drogenhandels sein können, andererseits durch „gefährdete Orte“: Darunter fiele dann auch ein G20-Gipfel-Tagungsort. Dort dürften Menschen nur noch dann überprüft und durchsucht werden, wenn jeweils die konkrete Person einen konkreten Verdacht begründet. Er sei sich sicher, sagt Steffen nun, „dass die Polizei sehr sorgfältig abwägen wird, ob und wo diese Voraussetzungen vorliegen“.
Einig sei sich die rot-grüne Koalition darüber, dass G20-Kritiker zeitgleich mit den Großen und Mächtigen eine Bühne in Hamburg bekommen sollen: Ein Gegengipfel von Nichtregierungsorganisationen müsse „in Sicht- und Hörweite der Adressaten“ stattfinden können, so Steffen, damit auch sie im kommenden Juli ihre Forderungen an eine gerechtere Weltwirtschaft formulieren können. Das entspreche dem Selbstverständnis und der Rolle der Grünen, sagt der Senator: „Nerven behalten, Bürgerrechte wahren – und kein sinnloser Aktionismus.“
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