piwik no script img

Shackletons Musikprojekt PowerplantLuft schnappen oder Atem anhalten

Der britische Produzent Sam Shackleton spielt am Samstag mit seinem neuen Projekt Powerplant beim Festival Berlin Atonal.

Der Musiker Sam Shackleton hat es gern ein bisschen apokalyptisch. Foto: Zeke

Sam Shackleton gilt als passionierter Einzelgänger. Interviews lehnt der Brite meist ab, weil er die Gesellschaft von „Zeitgenossen“ nach Möglichkeit meidet. „Ich halte mich abseits“, sagt er im Gespräch, dass er erfreulicherweise dann doch gewährt. Der seit 2008 in Berlin lebende Musiker arbeitet einfach lieber für sich in seinem versteckt gelegenen Kreuzberger Studio – geschätzt zwei Mal fünf Meter klein – und erfüllt auf den ersten Blick alle Kriterien für einen Eremiten.

Auch seine Schallplatten haben etwas Einzelgängerisches. Als Shackleton produziert er seit mehr als zehn Jahren elektronische Musik, die lange Zeit unter dem Titel Dubstep firmierte, aber immer ein verschroben-entspanntes Gespür für Rhythmen erkennen ließ, das nicht so recht zu den Produktionen seiner Dubstep-Kollegen passte. Hier und da hat er mit anderen Musikern an Veröffentlichungen gearbeitet, doch der Großteil seiner Tracks entstand im Alleingang.

Seine „Klangsignatur“, wie er sie nennt, lässt sich sofort heraushören, seien es die arabisch anmutenden gesampelten Trommelklänge, leicht entrückt mäandernden Synthesizermelodien oder die gelegentlich beunruhigend in die Länge gezogenen Pausen, bei denen man nie recht weiß, ob sie mehr mit Luftschnappen oder Atemanhalten zu tun haben. Seine Musik kann durchaus als Kosmos für sich bezeichnet werden, was in der heutigen elektronischen Musik eher eine Ausnahme ist.

Doch Shackleton kreiselt keinesfalls in einer hermetisch verkapselten Musikwelt. Vor Kurzem hat er sich mit drei Schlagzeugern zusammengetan, um live zu spielen. Improvisiert und nach Noten, aber kaum vorprogrammiert. Powerplant heißt sein Projekt, nach einem Track von einer seiner Solo-EPs.

Es scheint, je mehr du die Sache übst, desto freier kannst du sein.

Sam Shackleton

Bei der Probe von Powerplant im Juli ist der Berliner Tresor-Club erfüllt von dichter Polyrhythmik, die Schlagzeuger, nach Frequenzbereichen aufgeteilt in Becken, mittlere und tiefe Trommeln, wechseln dazu mühelos von einem Muster zum nächsten. Einige Teile folgen vorgegebenen Strukturen, andere sind improvisiert. „Wir haben klar definierte Patterns, die einer bestimmten Ordnung folgen“, so Shackleton.

Kollektives Umschalten

Die Musiker kennen den Ablauf genauestens, wissen, wann sie freier spielen können und in welchem Moment sie kollektiv „umschalten“ müssen. Auch Shackleton improvisiert seinen Part. Er arbeitet mit Live-Sequencing, bei dem er während des Spiels seine Figuren eingibt, die dann von einem Programm zu Sequenzen verarbeitet werden. Die können schon mal aus gerade vier Tönen bestehen.

Für seine Drones nimmt er Töne vom Synthesizer, um sie zu Loops zu verarbeiten. Entscheidend ist das genaue Timing der Beteiligten: „Es scheint, je mehr du die Sache übst und einstudierst, desto freier kannst du sein. Anschließend kannst du richtig abgehen.“

Die Zusammenarbeit mit nicht-elektronischen Musikern ist für Shackleton nicht nur ungewohnt, sie hat ihn sogar vor neue Aufgaben gestellt. „Ich bin ein kompletter Dilettant“, lautet seine Selbsteinschätzung. Was andere als Selbstermächtigung und DIY glorifizieren würden, klingt aus seinem Mund fast wie ein Handicap, mit dem er leben muss.

Noten lesen lernen

Powerplant

Powerplant, live am 22. 8. im Kraftwerk, Berlin

Ein kleines Hindernis galt es für ihn tatsächlich zu überwinden: „Es ist schwierig, wenn man mit Musikern arbeitet, die Noten lesen können. Was für mich etwa eine vollkommen selbstverständliche Art war, über meine Musik zu sprechen, stellt sich für klassisch ausgebildete Musiker ganz anders dar. Daher musste ich lernen, Noten zu schreiben.“

Seine Mühe hat sich gelohnt: Aus der kollektiven Präzision entsteht eine Kraft, die sich ziemlich direkt auf den Körper überträgt. Eine genaue Kategorisierung von Shackletons Musik fällt dabei schwer, man kann, ja muss dazu praktisch tanzen, zugleich bietet dieser abstrakte elektronische Ansatz reichlich intellektuelle Anreize.

Er selbst will diese Trennung ohnehin nicht vollziehen: „Ich habe ein Problem mit der Unterscheidung zwischen Avantgarde-Musik und Clubsound. Es gibt so viele verschiedene Elemente in der Musik. Und ich selbst muss erst einmal geistig angeregt werden, bevor ich überhaupt das Bedürfnis verspüre zu tanzen.“ Das gilt auch für Powerplant: „Ich hoffe, dass es eine durch und durch körperliche Erfahrung wird.“ Was das Geistige ja nicht zwangsläufig ausschließt.

Trommler in traditionellen Kostümen

Angeregt wurde das Projekt durch einen Auftritt Shackletons bei dem Festival DanCity im italienischen Ort Foligno. Dorthin war er 2013 eingeladen worden, um mit 40 Perkussionisten ein Stück zu spielen. Ein YouTube-Video des Konzerts zeigt Shackleton mit Trommlern in traditionellen Kostümen – er selbst trägt einen hohen Hut mit langer Feder, während er an seinem Mischpult steht.

Die Erfahrung hat ihm anscheinend gefallen. „Es hat mir viel Spaß gemacht, mit akustischen Instrumenten und ihren verschiedenen Nuancen zu arbeiten.“ Wichtiger noch: „Es hat mir vor allem Spaß gemacht, mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten. Worüber ich selbst überrascht war.“ Er lerne viel, wenn er mit anderen Musikern spiele. Und er hofft, dass Powerplant keine einmalige Angelegenheit bleibt, sondern der Auftakt zu neuen Projekten wird.

Seine Bassmusik ist für ihn ebenfalls in Powerplant aufgehoben. Die Bässe kommen jedoch, anders als bei Dubstep, nicht von tiefen Synthesizertönen, sondern von den Trommeln: „Ich fand den Subbass-Fetisch im Dubstep immer bizarr. Wie kann man Besitzanspruch auf einen Frequenzbereich erheben? Wenn du auf eine ausreichend große Trommel schlägst, bekommst du auch Subbass-Frequenzen. Und jede Provinzkirche hat genauso Subbässe, in der Orgel!“ Klingt ganz so, als warte da schon das nächste Projekt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!