Sexuelle Gewalt verhindern: „Wir alle haben unser erotisches Drehbuch“
Der Sexualtherapeut Uwe Hartmann will an Uni-Hannover ein Präventionsprojekt starten, das Männer mit Gewaltfantasien anonym und kostenlos behandelt.
taz: Herr Hartmann, wann sprechen Sie von sexuellen Gewaltfantasien?
Uwe Hartmann: Ich würde sagen, wenn Vorstellungen, einen Menschen gegen seinen Willen zu sexuellen Handlungen zu zwingen, im Mittelpunkt der sexuellen Fantasien stehen und als sehr drängend erlebt werden. Sicherlich wissen wir durch Serien wie „50 Shades of Grey“, dass sadomasochistische Fantasien beliebt und auch verbreitet sind.
Wo ist der Übergang zum Absonderlichen und Pathologischen?
Darin, ob ich mir mal so eine kleine milde Fantasie mache, wo letztlich Einverständnis zwischen den Menschen, die das zusammen machen, da ist. Oder ob ich sehr heftige, drängende und auch sehr gewalttätige Fantasien habe. Man muss sich das genau anschauen, wobei klar ist, dass sich diese Menschen auch uns nicht sofort öffnen. Das ist ein Prozess, der Vertrauen braucht. Wir wissen auch aus dem Pädophilieprojekt: Das braucht eine gewisse Zeit.
Das Ausleben pädophiler Neigungen gilt aber, wenn nicht als verboten, so doch als moralisch verwerflich und wird gesellschaftlich geächtet. Bei den Gewaltfantasien kann es anders sein.
Die Gewalt, um die es in unserem Projekt geht, Vergewaltigungen an Frauen, die dramatisch und sehr gewalttätig ablaufen, toleriert auch niemand. Aber sicher ist sich die Gesellschaft bei der Pädophilie einig: Das ist verpönt. Beim Thema Gewalt und Sexualität ist der gesellschaftliche Konsens sicher sehr viel komplexer. Wo hört dieser Grat auf, wo ist da noch etwas Spielerisches drin, was die Sexualität sogar ein bisschen aufpeppen kann und wo hört das auf.
Darüber wird aber auch gerungen, zum Beispiel vor Gericht.
Vor Gericht ist das was anderes, da versucht man sich aus der Schlinge zu ziehen. Das sind Schutzbehauptungen, mit denen man seine Strafe mildern will. Deshalb würden wir in dem Projekt auch keine Männer nehmen, die schon mit dem Gericht zu tun haben. Denn da wird man als Therapeut instrumentalisiert. Ich hoffe, die Männer, die zu uns kommen würden, genau wissen, was mit ihnen los ist und dass das diese Grauzone übersteigt. Das ist bei pädophilen Männern ähnlich, die wissen auch, dass sie nicht zufällig auf ihrem Spaziergang an einem Spielplatz vorbeigekommen sind, sondern dass sie den angesteuert haben. Das ist der Prozess, in dem man ehrlich zu sich selbst wird. Ich glaube, es sind auch nur solche Männer, die zu uns kommen würden.
59, ist Sexualtherapeut und will an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) ein Präventionsprojekt starten, das Männer mit Gewaltfantasien anonym und kostenlos behandelt.
An wen genau richtet sich diese Präventionsstelle?
Wir wissen, dass es bei den Menschen, die Vergewaltiger geworden sind und diese Gefährdung haben, unterschiedliche Tätergruppen gibt. Manche Männer, die gekränkt worden sind, sich minderwertig fühlen und Rache nehmen wollen, haben eine große Feindseligkeit gegenüber Frauen. Und es gibt Menschen, die eine sadistische Paraphilie haben, also sehr sadistische Fantasien, die vielleicht mal irgendwann durchbrechen. Es gibt aber auch Neigungstäter, die aus einer ganz bestimmten Konstellation in ihrem Leben heraus – oft unter dem Einfluss von Alkohol oder anderen Substanzen so eine Tat begehen.
Wie kommen solche Ideen in die Köpfe der Menschen?
Auch das wissen wir nicht genau. Wenn ich selber traumatische Erfahrungen gemacht habe, ist die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas in meinem Seelenleben rumgeistert, größer, aber es erklärt nicht alles. Es gibt einschneidende Kränkungserlebnisse, dass ein junger Mann bei seinen ersten Erfahrungen versagt hat, ausgelacht wurde oder keine Chancen hat bei Frauen. Meine erste große Studie, die ich als junger Wissenschaftler gemacht habe, war zu Sexualfantasien. Da konnte mir keiner sagen, woher die bei ihm kommen. Wissen Sie das bei sich selber? Ich weiß es nicht so genau. Das heißt, wir alle haben unser erotisches Drehbuch. Manche Sachen gefallen uns, andere nicht. Als Therapeut versuche ich, das mit den Patienten nachzuverfolgen. Ich glaube, mit manchem kommen wir auf die Welt und manches in unserem Leben prägt uns.
Was wollen Sie erreichen?
Genau das, was wir mit dem anderen Projekt „Kein Täter werden“ erreichen wollten: Dass wir es schaffen, eine Reihe von Männern in die Lage zu versetzen, kein Täter zu werden, um so weniger Opfer zu haben. Wir behandeln in unserer Klinik Hunderte von traumatisierten Frauen. Wir wissen, was das für Auswirkungen hat. Als Sexualtherapeut weiß ich auch, welche Auswirkungen das auf die Sexualität der Betroffenen hat.
Welche?
Das sind schlimme Traumatisierungen, die sie ihr ganzes Leben lang nicht mehr loswerden. Sie leiden unter Flashbacks: Wenn sie mit einem geliebten Partner zusammen sind, kann es sein, dass ihnen in der Sexualität so eine Szene plötzlich wieder vor Augen kommt. Manche dieser Frauen schaffen es ihr ganzes Leben nicht mehr, eine vertrauensvolle Beziehung zu einem Mann aufzubauen. Über die Opfer wissen wir inzwischen sehr viel und das ist auch gut so. Aber über die potenziellen Täter wissen wir viel weniger und da es sich um ein Pilotprojekt handelt, wissen wir auch noch nicht, ob das Erfolg haben wird.
Was raten Sie einem Menschen mit solchen Neigungen: Sollte er diese in irgendeiner Form ausleben oder unterdrücken?
Bei den Menschen mit Pädophilie ist unsere Botschaft immer: Du darfst es zeitlebens nicht ausleben und musst es kontrollieren, ohne dass wir garantieren können, dass sich diese Neigung groß verändern wird. Das Positive bei der Arbeit mit den Männern in dem neuen Projekt ist ja, das sie auf erwachsene Frauen orientiert sind. Sie können also sexuelle Kontakte zu Frauen haben, dürfen aber nicht zum Vergewaltiger werden. Wir können also die gesunde Sexualität stärken und Möglichkeiten erarbeiten, ein normales Sexualleben zu führen. Dieser therapeutische Spielraum macht mich optimistisch.
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