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Sexualisierte Gewalt und Elternschaft„Nicht darüber zu sprechen darf keine Option sein“

Menschen, die von sexualisierter Gewalt betroffen waren, zögern häufig mit einer Elternschaft. Eine neue Studie sieht Forschungslücken in dem Feld.

Vater Mutter und 3 Kinder. Puppenhaus in einer psychologischen Praxis Foto: Robert Poorten/ imago

Berlin taz | Entscheiden sich Menschen, die in ihrer Kindheit und Jugend sexualisierte Gewalt erlebt haben, später gegen eigene Kinder? Und wie beeinflussen Gewalterfahrungen die eigene Elternschaft? Diesen Fragen widmet sich ein neues Forschungsprojekt, das am Dienstag erste Ergebnisse vorstellte. „Unsere Studie schließt eine Lücke, in der wichtige Fragen erstmalig untersucht werden“, sagte Barbara Kavemann, die als Professorin am Forschungsinstitut zu Geschlechterfragen in Freiburg die Untersuchung leitet.

Hinter der Studie steht die unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. Die Wis­sen­schaft­le­r*in­nen befragten 620 Betroffene sexualisierter Gewalt schriftlich und führten zusätzlich Interviews und Fokusgruppengespräche. 84 Prozent der Stu­di­en­teil­neh­me­r*in­nen waren Frauen und 13 Prozent Männer.

Zentrale Erkenntnisse sind: Die meisten Befragten dachten intensiv über die Frage nach, ob sie Kinder bekommen sollten und ob sie der Aufgabe einer Elternschaft gewachsen wären.

130 Befragte hatten keine Kinder – ein Großteil davon gab an, dies sei eine bewusste Entscheidung aus der Befürchtung heraus, Kinder nicht gut versorgen zu können. Auf der anderen Seite gab es auch eine Gruppe, die angab, dass die Gewaltbetroffenheit eine untergeordnete Rolle bei ihrem Kinderwunsch spiele.

Je­de:r siebte Erwachsene ist betroffen

Die Befragten sahen eine vertrauensvolle und unterstützende Partnerschaft häufig als Voraussetzung für eine biologische Elternschaft. Allerdings führten die Auswirkungen der erlebten Gewalt oft dazu, dass es schwierig sei, eine solche Beziehung zu finden und aufrechtzuerhalten.

Laut der Studie ist Betroffenen die Vorstellung stark, dass sie sich eine Elternschaft „erlauben“ müssten. Aufgrund der Belastungen würden häufig auch Entscheidungen gegen eine eigene Elternschaft getroffen, da befürchtet werde, dass man den eigenen Kindern Schaden zufügen könnte – etwa indem sie mit den Folgen der erlebten Gewalt konfrontiert würden oder die Kinder wegen der eigenen Erschöpfung nicht angemessen versorgt werden könnten

Claas Löppmann ist Betroffener und Mitglied des Betroffenenrats bei der unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM). Er forderte bei der Studienvorstellung, dass es zum Schutz von Kindern dazu gehöre, etwa bei Elternabenden an Schulen nach Schutzkonzepten für Kinder zu fragen. Dies gelte auch für Vereine, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. „Nicht darüber zu sprechen, darf keine Option sein“, sagt der Vater von drei Kindern.

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