Sexarbeit in Saarbrücken: Gefährlicher Grenzverkehr
Prostitution soll verboten werden – das will auch die Bürgermeisterin von Saarbrücken. In ihrer Stadt boomt der Sextourismus.
SAARBRÜCKEN taz | Alicia und Karina machen es für 30 Euro: blasen, ficken, mit Gummi. Die zwei Cousinen aus Rumänien sind klein. Alicia hat ihre wilden Locken in einem Knödel auf dem Kopf zusammengebunden, Karina sieht mit ihren schwarzen Haaren und roten Lippen aus wie Schneewittchen. Sie hat noch Babyspeck, beide sagen, sie seien 21.
Sie tragen Leggings in Neon, damit die Freier sie sehen. Ihr Platz ist eine Landstraßenabzweigung bei Saarbrücken. In dem Gebüsch hinter ihnen parkt ein Audi, französisches Kennzeichen. In Saarbrücken boomt der Sextourismus. Die Grenzstadt bedient nicht nur das Saarland, sondern auch Frankreich, wo Bordelle verboten sind. Auf knapp 179.000 Einwohner kommen hier circa 1.000 Prostituierte. In Berlin sind es geschätzt nur acht mal so viele bei 18-mal mehr Einwohnern.
Und der Markt wächst weiter. Ende des Jahres eröffnet ein Riesenbordell mit 6.000 Quadratmetern. Auch auf der Straße stehen immer mehr Frauen. Früher waren es fünf, jetzt sind es fast 100, die meisten aus Rumänien und Bulgarien. Seitdem sie als EU-Bürger legal sind in Deutschland, kommen immer mehr.
Um das zu verhindern, hat sich in Saarbrücken eine ungewöhnliche Allianz gebildet aus Politik, Bordellbesitzern und der Hurenberatung Aldona. SPD-Oberbürgermeisterin Charlotte Britz findet, der Straßenstrich mache den Ruf ihrer Stadt kaputt, Puffbetreiber haben Angst um ihr Geschäft, und Aldona fürchtet, dass die Frauen selbst kaputtgehen. So unterschiedlich ihre Motive sind, so unterschiedlich sind auch ihre Ziele und Wege, diese zu erreichen.
„Arbeit scheiße, Geld gut“
Britz will den Sperrbezirk erweitern und eine Sexsteuer erheben. Dann müssten Alicia und Karina jeden Tag ein Ticket für 5 Euro lösen wie bei einem Parkscheinautomaten. Für sie wäre das verkraftbar. Jeden Monat bleiben jeder von ihnen ungefähr 2.000 Euro.
Nicht dass sie die behalten würden. Karina kramt ein zerknülltes Papier aus ihrer Tasche: ein Überweisungsschein nach Rumänien. Alle zwei Tage schickt sie 100 Euro. Ihre Familie wohnt zu zehnt in einem Zimmer. Mit 15 wurde sie verheiratet. Sie bewegt ihre Hand in einem Halbkreis vor dem Bauch. Ihre sechs Kinder leben bei der Mutter. Alicia zeigt ein Bild ihrer Tochter: Sie hat Alicias Locken und ist jetzt vier. Seit einem Jahr hat Alicia das Mädchen nicht gesehen.
Heute ist das Geschäft mau, den beiden ist das egal. Alicia formt aus ihrer Hand einen Tunnel, bewegt ihn schnell vor ihrem Mund. Hoch, runter, hoch. Sie spuckt aus. Blasen ist eklig. Sie sagt „Arbeit scheiße, Geld gut.“ Immerhin scheint es so, als würde das Geld wirklich ihnen gehören. Bei vielen ihrer Kolleginnen ist das anders. Sie schauen sich oft ängstlich um zu Männern, die nicht weit von ihnen in Minibussen mit bulgarischem und rumänischem Kennzeichen sitzen.
Sechs Matratzen in einem Zimmer
Als die Polizei wegen Verdacht auf Menschenhandel eine Kontrolle in einem Bordell machte, zeigte sich, wie die Frauen dort leben: sechs Matratzen in einem Zimmer, daneben türmen sich Kleiderberge. Zwei Küchen und zwei Bäder für 24 Menschen. Doch viele Frauen sehen sich nicht als Opfer. Der Mann, der sie nach Deutschland brachte, war oft ihr erster Liebhaber. Er hat alles organisiert, beschützt sie vor anderen Frauen, der Polizei. Deshalb sagt fast keine vor Gericht gegen ihn aus, stattdessen kratzen sie ihr Geld zusammen, um dem Zuhälter den Anwalt zu zahlen. Auch weil er sie vor den Freiern schützt.
Alicia muss sich selber schützen. „Arschficken, nein“, sagt sie und hält ihre kleine Handfläche hoch. Die Freier wollen, was sie in Pornos sehen. Anal, oral im Wechsel und ohne Gummi. Sie macht das nicht, bricht ab, wenn es wehtut, schimpft zurück, wenn einer sie Schlampe nennt. Sie blickt auf den Boden. „Früher ich geschämt, jetzt nicht“, sagt sie mit leiser Stimme.
Ein Auto, Alicia und Karina reißen die Arme hoch, springen zum offenen Fenster. „Meine Liebe, mein Papa!“, ruft Alicia. Im Auto grinst ihr ein 66-Jähriger entgegen, dicker Bauch im Holzfällerhemd. Er wohnt um die Ecke und versorgt die Mädels mit Getränken. Sie stören ihn nicht. Doch Alicia erzählt von einem Anwohner, der einem Mädchen ein blaues Auge schlug. Er wollte die „Schlampen“ weghaben.
Moral und Marketing
Der Straßenstrich ist direkt neben Schulen und Einfamilienhäusern. Manche haben Angst, dass neben ihrer Tochter plötzlich ein Auto hält, junge Mädchen sind gefragt auf der Straße. Anderen klebt beim Joggen ein Kondom am Schuh, weil der Park jetzt Freierland ist. Nachts brettern Autos durch die Straßen zum Strich. Oberbürgermeisterin Britz will deshalb so schnell wie möglich handeln. „Die Gewalt gegen Frauen muss aufhören“, sagt sie.
Das sagte sie am Sonntag auch bei Günther Jauch. Sie will Presse für ihr Anliegen, hat den Appell von Alice Schwarzer gegen Prostitution unterschrieben. Morgen wird Schwarzer in Berlin ihr Buch zu dem gleichen Thema vorstellen. Beiden geht es wohl neben der Moral auch um Marketing.
Britz will ihre Stadt gut verkaufen, tänzelt durch die Straßen, deutet auf das neue Kulturzentrum, preist die geplante Uferpromenade an. Immer wieder verspricht sie sich, sagt statt Saarbrücken Paris oder London. Ihr modischer Trenchcoat weht. Britz schwingt an einem Blumenbeet vorbei. „Der Straßenstrich zerstört das Stadtbild.“ 2013 ist das beste Tourismusjahr, das Saarbrücken je hatte.
Auch Tom und Toni sind gegen den Straßenstrich, auch sie sorgen sich um die Einnahmen aus dem Tourismus – dem Sextourismus nämlich. Auf der Eingangstür ihres Bordells, Haus 8, steht „Les femmes sont la“. Doch es kommen immer weniger Franzosen. „Das sind Billigficker“, sagt Tom, Typ bulliger Türsteher. Der Straßenstrich macht ToTo, wie die beiden Männer sich nennen, das Geschäft kaputt.
Mehr Bürokratie wagen
Die Frauen, die sich vor ihnen im schummrig rot beleuchteten Schaufenster ausstellen, tragen verspielte Dessous. Nach jedem Freier präsentieren sie ein neues Outfit, ziehen den Lidstrich nach. Doch sie können ihr Preisniveau kaum halten. Eine holt ihr Handy raus. Sie hat aufgenommen, wie ein Freier sie runterhandeln wollte. Auf der Straße kriegt er es billiger. Die Frauen brauchen zwei Männer, um ihre Miete im Haus 8 zahlen zu können, 70 Euro am Tag. Immer öfter müssen sie anschreiben.
Um dem Preisdruck zu entgehen, wollen auch ToTo, dass der Straßenstrich verschwindet. Von den Maßnahmen der Politik halten sie nichts. Sperrbezirk? „Die Mädels finden immer einen Platz“, sagt Tom. Wenn es um die Polizei geht, wedelt er mit seinen Pranken in der Luft und formt seinen Mund zu einem langgezogenen „Ohhh“. Viel Angst würden die Frauen nicht haben. Die Beamten müssen ihnen einen Bußgeldbescheid schicken.
Nur wohin? Die meisten sind nicht in Deutschland gemeldet. Keine Meldeadresse, keine Strafe. Auch die Sexsteuer würde das Geschäft auf der Straße nicht verderben. Die Mädels werden sich den Tagessatz teilen. Zwei Euro pro Tag, geschenkt. „Was wirklich abschrecken würde, wäre mehr Bürokratie“, sagt Tom.
Kein Alarmknopf
Ein fester Wohnsitz sollte Pflicht sein, genau wie ein Gewerbeschein oder eine Gesundheitsprüfung. Das fordert auch Sabrina Müller von der Hurenberatung Aldona. Sie ist gegen den Straßenstrich, weil er gefährlicher ist als viele Bordelle. Tom erzählt, dass im Haus 8 Kondom Pflicht ist, Gesundheitsuntersuchung auch, und wenn ein Freier aufmuckt? – Tom klatscht die Faust in seine Handfläche. Alicia und Karina sind mit ihren Freiern alleine im Auto.
Ihre Situation könnte sich durch den gut gemeinten Plan der Politik sogar noch verschlechtern. Denn die Bürgermeisterin will abschrecken, es für die zwei so ungemütlich wie möglich machen. Dort, wo sie stehen, soll der einzige Ort sein, wo Prostitution noch erlaubt wäre. Schmale Wege, an den Seiten undurchsichtiges Gebüsch. Es gibt keine Beleuchtung in der Nacht, keinen Alarmknopf.
Können sich die Frauen nur noch hier anbieten, wird die Konkurrenz größer, die Preise fallen weiter. Dann wird Alicia ihre Hand vielleicht nicht mehr so energisch hochhalten können, wenn wieder ein Freier Analsex ohne Gummi will.
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