Service für Flaschensammler: Kisten, die an Masten hängen
Nicht nur im Schanzenviertel erleichtern es spezielle Getränkekisten, leere Flaschen loszuwerden. Die Idee: mehr Würde für die, die vom Pfandsammeln leben.
![](https://taz.de/picture/216929/14/cyb_N4_Kiste_USchmidt_3spSW.jpeg)
Yoga- und Meditationskurse, Kampfsport, Wohnungssuche, entlaufener Hund, Antwort auf die Frage, wie man glücklich wird, Opel zu verkaufen: An Laternenmasten hängt die Moderne. Komplett. Nun kommen Getränkekisten dazu, in die der Passant seine leere Dose oder Buddel stellen kann, damit der Flaschensammler sie nicht aus dem Müll klauben muss. Die ersten Kiste wurden Mitte März aufgehängt, zwischen Roter Flora und Haus 73. Flaschenintensiver Standort, Armut nicht weit. Kann sein, dass Hamburg hier mal die Spitze von irgendwas ist.
Drauf gekommen sind die Leute von Lemonaid, dieser Hamburger Firma, die Limonade und andere Getränke macht und mit dem Erlös soziale Projekte unterstützt. Nicht allein: „Die Idee ist kollektiv entstanden“, sagt Jakob Berndt von Lemonaid. In Berlin gibt es eine Initiative „Pfand gehört daneben“, organisiert von Matthias Gomille: Alles, was Pfand bringt, soll nicht in den Mülleimer gepackt, sondern daneben gestellt werden, um den Flaschensammlern ihre Arbeit zu erleichtern. „Mit Matthias haben wir uns ausgetauscht“, sagt Berndt. Er selbst, „Getränkehersteller, der sich im großstädtischen Kontext bewegt und mit Pfandflaschen arbeitet“, habe sich aufgerufen gefühlt, die Idee weiter zu entwickeln. Also Pfandflaschen nicht nur neben die Mülltonne stellen, sondern gleich in eine Kiste, aus der sie der Sammler holen kann. Denn Wühlen in Mülltonnen, sagt Berndt, ist „entwürdigend und nicht ungefährlich“.
Dann hat sich der Designer Tim John dran gesetzt und überlegt, wie das gehen könnte. Machte ein Loch rein, schnitt die Kiste auf, damit sie um einen Laternenmasten passt, verband die losen Teile mit Kabelbindern. Das ist ein „Hingucker“, sagt Berndt, „das fällt den Leuten auf.“ Inzwischen gab es in Hamburg und Berlin Bastelstunden, damit jeder solche Kisten bauen kann, und bald stellt Berndt eine Bastelanleitung ins Netz. Überhaupt: Mit seinem Team „tüftele er „ständig an Verbesserungen rum“, sagt Berndt.
Die Wasser-Initiative Viva con Agua macht mit, Quartiermeister auch, das sind Berliner, die Bier brauen und den Gewinn sozialen Projekten zur Verfügung stellen. Lemonaid-Kisten hängen inzwischen in Kreuzberg, Wiesbaden, Kassel, Leipzig, bald auch in Hannover, Frankfurt am Main, München. „Das hat eine krasse Dynamik“, sagt Berndt. Die Kisten werden sogar nachgebaut, das findet Berndt „gut“. Auch Kisten von Getränkefirmen, die nichts mit sozialen Projekten zu tun haben, lassen sich für den richtigen Zweck verwenden. „Es werden Beck’s-Kisten genommen, das Logo übermalt, an einigen Standorten hängen Körbe, darauf kommt’s nicht an.“
Berndt ist froh über diese Initiativen, „denn so war es gedacht, die Leute sollen in ihren Städten ihr eigenes Ding machen“. Baut eine, zwei, viele Kisten. Irgendwann werde „eine kleine Organisation notwendig sein, die sich nur um die Kisten kümmert“.
In Hamburg hingen mal 15 Kisten, fünf fehlen inzwischen. Berndt fragt sich, „ob das was mit Vandalismus“ zu tun hat – „oder dem Ordnungsamt“? Dieses aber, versichert Kerstin Godenschwege, Sprecherin des Bezirksamts Altona, „war es nicht“. Sie hat mit den Leuten vom Bezirklichen Ordnungsdienst gesprochen. „Die finden das gut“, sagt Godenschwege, „die sagen: Das hilft uns.“
Und Flaschensammler? Berndt hat mit zwei gesprochen, die „fanden die Kisten super“. Dagegen hat Manne, der vom Flaschen sammeln lebt, die Befürchtung, „dass der Konkurrenzkampf größer wird, weil nun noch mehr Leute sammeln, wenn das so einfach geht“. Berndt weiß nicht, „ob das stimmt“. Er hat die Sache mit den Kisten im Netz publik gemacht, Matthias Gomille auf Facebook, und fast alle Reaktionen „waren positiv“. Im Grunde, sagt Berndt, gehe es darum, zu erkennen, „dass es eine soziale Schieflage gibt, und darauf zu reagieren“.
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