piwik no script img

Serie: Fünf für die FinalsImmer ins Gelbe treffen

Bogenschützin Elena Richter entdeckte ihren Sport als Zehnjährige. Seitdem schießt die Berlinerin erfolgreich wie kaum eine andere.

Im Wettkampf ist Elena Richter voll konzentriert. Auf 70 Meter Distanz trifft sie zentimetergenau Foto: Sebastian Wells

Berlin taz | Elena Richter lässt den rechten Arm ein paar Sekunden lang nach unten hängen, um ihn zu lockern. Dann greift sie in ihren Köcher, zieht einen Pfeil heraus. Um ihren linken Arm sind zwei Gurte gespannt, die eine etwa 15 Zentimeter lange Plastikschiene halten. Wenn die Sehne des Bogens ausfedert, könnte die Arm­innenseite etwas abbekommen, deshalb der Schutz. Richter legt den Pfeil an, zieht die Sehne mit drei Fingern zurück, bis sie fast ihre Nasenspitze berührt. Ihr Blick ist fokussiert, Richter atmet ruhig. Die Finger lösen sich, der Pfeil schießt in die Luft. Mit bloßem Auge ist er kaum zu verfolgen. Dann ein dumpfes Ploppen, der Pfeil steckt in der Zielscheibe.

Richter ist Bogenschützin und trainiert mit ihren MannschaftskollegInnen auf einer buckeligen Wiese im Sportforum Hohenschönhausen. Seit sie zehn Jahre alt ist, schießt sie Pfeile durch die Luft. „Ich war nie die beste Leichtathletin. Da hat mir das Bogenschießen gefallen, ich dachte: Hey, da bin ich gut. Und es ist auch Sport“, erzählt sie lachend.

Neben ihr schießt Lisa Unruh, die zweite große Konstante im deutschen Bogensport. Seit fast 20 Jahren kennen sich die beiden, haben viel miteinander erlebt. Wettkampf für Wettkampf treten sie gemeinsam an, im Teamwettbewerb. Wettkampf für Wettkampf aber sind sie auch Konkurrentinnen – in der Einzelwertung. Eine schwierige Situation, gerade im Bogensport, wo die Schützinnen ohnehin sehr individuell agieren. Beim Schießen ist es wichtig, sich voll auf sich selbst zu fokussieren. Anders sind die Herausforderungen in Sachen Kraft, Koordination und Kondition nicht zu erfüllen.

Aber es gibt ja auch in Wettkampfphasen noch ein Leben ohne Bogen in der Hand. „Wenn wir unterwegs sind, schlafen wir in Doppelzimmern. Da ist es schon wichtig, dass alles ganz cool und nett ist“, sagt Richter. Das funktioniere ganz gut, erzählt sie nach kurzem Überlegen. Erst vor Kurzem habe sie ihren Geburtstag nachgefeiert, da waren ihre TeamkollegInnen natürlich eingeladen. „Das war echt super gut.“

Auf den Zentimeter genau

Richters eben abgefeuerte Pfeile stecken in der Zielscheibe – im gelben Bereich, in den Punktewertungen neun und zehn. „Man sagt ja, man müsse ins Schwarze treffen. Aber eigentlich muss man ins Gelbe treffen.“ Gut gelaunt zieht Richter die Pfeile aus der Scheibe. Die schwarzen Ringe liegen außen, gezielt wird natürlich in die Mitte – Richter tut das in aller Regel erfolgreich.

„Es gibt so viele Erinnerungen, bei denen ich sagen würde: Boah, das war toll“, erzählt sie stolz von ihren vielen Erfolgen der vergangenen Jahre. 2012 trat sie bei den Olympischen Spielen in London an und war überwältigt von der Atmosphäre dort. 2018 wurde sie gleich doppelt Weltmeisterin – im Einzel und im Mannschaftswettbewerb. Und 2014 gewann sie einen Weltcup – das gelang noch keiner anderen deutschen Bogenschützin.

Auch Lisa Unruh, die 2016 Silber bei den Olympischen Spielen in Rio holte, konnte bislang nie einen Weltcup gewinnen. Obwohl sie privat gut miteinander auskommen, ist das Gegeneinander bei den beiden Schützinnen immer präsent. 2016 war Unruh besser, durfte deshalb zu Olympia. Richter stand zwar auf der Reserveliste, war aber gar nicht vor Ort. „Ich habe schon gemerkt, dass ich danach ein bisschen abgeschriebener war als vorher“, erzählt sie – und mediale Aufmerksamkeit ist ohnehin nur begrenzt vorhanden.

Richters schlechte Phase im Jahr 2016 hatte einen längeren Vorlauf. „2014, als ich große Erfolge hatte, habe ich mich selber so unter Druck gesetzt, dass ich fast nicht mehr gewollt, den Sport dann vielleicht auch gelassen hätte.“ Richter pausierte für drei Monate, doch die Probleme blieben. „Wir Bogenschützen haben manchmal Schießblockaden. Das sind mentale Blockaden. Bei mir war es so, dass ich es nicht mehr geschafft habe, den Pfeil durch den Klicker zu ziehen.“

Kampf gegen mentale Hemmnisse

Der Klicker ist ein kleines Stück Metall, das dort befestigt ist, wo der Pfeil am Bogen vorbeigeführt wird. Ist der Pfeil komplett am Klicker vorbeigezogen, weiß die Schützin: Die Sehne mit dem Pfeil ist weit genug gespannt. Dann klickt es einmal und Richter kann den Schuss lösen. Wenn es einfach nicht mehr klickt, ist das also ein echtes Problem. „Es war gar nicht so, dass ich nicht genug Kraft hatte. Es war einfach alles zu, alles blockiert.“ Die Phase dauerte fast drei Jahre an. „Anfang 2017 hatte ich dann zum ersten Mal wieder das Gefühl: Krass, ich bin am Steuer. Ich habe die Kontrolle.“

Seitdem achtet sie stärker darauf, die Kontrolle nicht zu verlieren, Dinge bewusster zu genießen – die Zeit mit ihrem Pferd zum Beispiel. Es steht in einem Stall in Brandenburg, Richter ist zu Besuch, wann immer es geht. „Gerome nimmt mich, wie ich bin, und spiegelt meine Laune total gut. Wenn ich aufgekratzt bin, ist er auch aufgekratzt. Das ist immer ein ganz gutes Zeichen: Okay, ich muss runterkommen.“

Finally Finals – jetzt geht’s los!

Die Person Elena Richter wurde 1989 geboren, ist seit fast 20 Jahren eine der besten Bogenschützinnen Deutschlands. Sie ist Sportsoldatin und studiert Psychologie an der Fern-Uni Hagen.

Die Sportlerin Richter ist Weltmeisterin, Deutsche Meisterin, Weltcup-Siegerin. Aus 70 Metern Distanz trifft sie ihr Ziel auf wenige Zentimeter genau – mit übermenschlich erscheinender Konstanz.

Die Finals Am 3. und 4. August 2019 finden in Berlin zum ersten Mal „Die Finals“ statt, eine Parallelaustragung der Deutschen Meisterschaften im Bahnrad, Bogensport, Boxen, Kanu, Leichtathletik, Modernen Fünfkampf, Schwimmen, Turnen, Triathlon und Trial. Die Schwimmwettkämpfe beginnen bereits am Donnerstag, den 1. August. ARD und ZDF übertragen live.

Die Serie Die taz berlin stellte bis zu den Finals jede Woche eine*n Teilnehmer*in der Wettkämpfe vor. Elena Richter bildet den Abschluss der Serie. (lwa)

Richter ist kein außergewöhnlich ruhiger Mensch. Im Gespräch lacht sie viel und redet schnell. „Besonders hibbelig bin ich aber nicht, war ich auch noch nie“, überlegt sie. Trotzdem hilft ihr die Zeit mit Pferd Gerome – und die Zeit mit ihrem Freund. Gerade planen die beiden ihren gemeinsamen Jahresurlaub. Direkt nach den Finals geht es eine Woche an die Ostsee, danach sind die Ziele noch offen. „Das beißt sich immer ein bisschen“, erzählt sie. „Mein Freund will, nachdem er das ganze Jahr gearbeitet hat, gerne mal weiter weg, und ich komme halt von weit weg und sage: Können wir irgendwo hier bleiben? Oder zum Zelten fahren oder so?“

Vor dem Urlaub stehen erst die deutschen Meisterschaften an. Eigentlich sei das immer so ein Wettbewerb, der ein wenig wie an die Saison angehängt wirke, erzählt sie. Die Finals in diesem Jahr aber seien was anderes: „Da ist einmal das mediale Interesse, dann haben sich schon Menschen aus dem privaten Umfeld angekündigt, die zuschauen wollen. Da freue ich mich einfach drauf.“

Bogenschießen bei den Finals

Die Vorrunde findet schon am Freitag statt. Alle schießen für sich, am Ende werden die Punkte addiert und eine Rangliste gebildet. In der Finalrunde am Samstag schießt die Erstplatzierte gegen die Letztplatzierte, so wird nach und nach im K.-o-System ausgesiebt, bis zum Bronze- und Gold-Finale, in dem auch Elena Richter am Ende antreten und natürlich gewinnen will.

Wie die meisten Bogenschützinnen wird sie dabei einen Anglerhut tragen – die einzige Möglichkeit, das eigene Sichtfeld vor blendender Sonne zu schützen, ohne sich selbst beim Spannen der Sehne mit einem langen Mützenschirm zu behindern. Da sehe man dann eben ein bisschen lustig aus, schmunzelt Richter. Eitel ist sie definitiv nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!