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Serie Crowdfunding - Teil 2Happy-Birthday-Singen für die Karriere

Die Website SellaBand ist eine Mischung aus Börse und Spenden-Plattform. Fans können Anteile an Projekten von Künstlern kaufen – und bekommen Dividende.

Künstler auf der Suche nach zahlenden Fans: Übersicht von der Homepage von Sellaband. Bild: screenshot sellaband.de

Jana G. braucht Geld. 3.900 Euro, um genau zu sein. Dafür gratuliert sie jedem, der bereit ist 236,40 Euro in die Popsängerin aus Chicago zu investieren, höchstpersönlich zum Geburtstag und singt ein Ständchen am Telefon. Alles in der Hoffnung, ihre Karriere in Schwung zu bringen: Mit dem eingesammelten Geld sollen 10.000 Download-Cards gedruckt und kostenlos verteilt werden. Eine Werbemaßnahme: Jana G. will ihre Musik verschenken, um sie irgendwann einmal verkaufen zu können.

Selbst das Verschenken kostet heutzutage also Geld. So läuft das dieser Tage im darbenden Musikgeschäft. Immer mehr Menschen hören Musik, aber immer weniger sind noch bereit, dafür auch etwas auszugeben. Diese wenigen versucht SellaBand zu finden: Seit 2006 bietet die Website hoffnungsfrohen Musikanten wie Jana G. die Möglichkeit, Geld zu sammeln, um ein Album aufzunehmen, auf Tour zu gehen oder eben Werbemaßnahmen einzuleiten. Die sogenannten „Believer“ erwerben einen oder mehrere „Parts“, also Anteile, am Projekt des Künstlers ihrer Wahl.

Der Künstler wiederum stellt eine Dividende in Aussicht, wenn das Investitionsziel erreicht wird: Das kann das mit dem Geld aufgenommene Album sein, ein Konzert-Ticket oder sogar eine Beteiligung an möglichen Profiten. Aber auch ein signiertes T-Shirt, ein personalisiertes Video oder eben ein Geburtstagsständchen. Kurz gesagt: SellaBand ist eine Mischung aus Börse und Spenden-Plattform.

Gerade im Musikgeschäft drängte sich die Crowd-Funding-Idee natürlich auf: In keiner anderen Kunstform ist die emotionale Bindung zwischen Künstler und Konsument so ausgeprägt. Beste Voraussetzungen also, den Fan direkt einzubinden und vom Verbraucher zum modernen Mäzen zu befördern. „Die Leute wollen die Nähe zum Künstler“, erklärt Michael Bogatzki. Das ist die Grundvoraussetzung, auf der SellaBand fußt. Der Münchener ist allerdings nur deshalb Geschäftsführer der Website, weil es gar nicht so einfach ist, diese positive Voraussetzung auch in ein erfolgreiches Geschäftsmodell umzusetzen. Den drei niederländischen SellaBand-Erfindern ist es jedenfalls nicht gelungen, sie gingen im Frühjahr 2010 pleite. Bogatzki kaufte Idee und Namen, die URL-Adressen und die Markenrechte für „einen mittleren sechstelligen Betrag".

Attitude umbauen

Seitdem hat sich SellaBand verändert, nicht nur weil Bogatzki den Geschäftssitz von Amsterdam nach München verlegte. Vor allem will er umbauen, was er „die Attitude“ nennt. „Früher wollte SellaBand die Musikindustrie ersetzen, das war falsch“, sagt der 39-Jährige, der sein Geld mit der Medienvermarktungsagentur Make Music gemacht hat, „wir wollen jetzt Teil der Musikindustrie werden. Wir reden mit vielen und würden mit allen zusammen arbeiten.“

Crowdfunding

Die Idee ist simpel: Wer ein Projekt hat, aber niemanden aus der Kulturindustrie, der daran glaubt, der wendet sich einfach an die Massen. Irgendwo werden sich schon Fans finden, die das Projekt finanzieren. Neudeutsch nennt sich die Finanzierung durch den Schwarm der Fans "Crowdfunding".

In Deutschland gibt es bereits sieben Plattformen, auf denen das möglich ist:

inkubato.com

mysherpas.com

pling.de

sellaband.de

startnext.de

visionbakery.de

Auf caritative Projekte hingegen hat sich betterplace.org spezialisiert, auf Internet-Startups die Plattform

seedmatch.de.

In loser Folge stellen wir zentrale Projekte und/oder die Macher auf diesen Plattformen vor.

Damit reagiert Bogatzki auf den grundsätzlichen Konstruktionsfehler, den alle Fan-Funding-Seiten aufweisen und der seiner Meinung nicht nur zur zwischenzeitlichen Pleite von SellaBand geführt hat, sondern auch dazu, dass vergleichbare Seiten wie Bandstocks.com bereits wieder völlig verschwunden sind. Alle diese Seiten krankten daran, dass sie zwar halfen, ein einzelnes Projekt auf die Beine zu stellen, aber nicht die Rundumversorgung einer Plattenfirma bieten konnten, die schlussendlich nötig ist, um sich am Markt tatsächlich durchzusetzen: Selbst wenn eine Band dann endlich ein professionell aufgenommenes Album anbieten konnte, haperte es noch am Vertrieb, an Promotion-Knowhow, dem Ticketverkauf oder dem Merchandising.

Mittlerweile, behauptet Bogatzki, sei der Umsatz und die Anzahl der Believer wieder zurück auf einem Stand von vor der Pleite. Aber um auf Dauer Erfolg zu haben, soll SellaBand perspektivisch in der Lage sein, ein „360-Grad-Modell“ anzubieten. Ein Begriff aus der Musikindustrie, der sagen will: Alle Aspekte einer Karriere werden abgedeckt. Deswegen arbeitet Bogatzki dieser Tage vor allem daran, ein entsprechendes Netzwerk zu schaffen: „Denn wir können und wollen nicht alles selbst machen, sondern suchen professionelle Partner.“

Musik-Facebook

Das wichtigste aber bleibt die Idee, dass der Fan das Entstehen seiner Lieblingsmusik aus nächster Nähe verfolgen kann und sich mit Gleichgesinnten austauschen kann. „SellaBand ist im Prinzip ein Musik-Facebook“, sagt Bogatzki, und dass er sich sogar darüber freut, wenn die Crowd-Funding-Idee sich weiter verbreitet, „denn in unserem Bereich belebt Konkurrenz tatsächlich das Geschäft“.

Tatsächlich ist SellaBand nicht einmal das Original. Die Idee, dass Musiker von ihren Fans direkt unterstützt werden, wurde bereits 2000 von der immer noch existierenden Website ArtistShare entwickelt und seitdem immer wieder neu interpretiert von Plattformen wie „Slicethepie“, „AKA Music“, „Pledgemusic“ oder dem allgemein gefassteren „Kickstarter“, über den nicht nur Musik, sondern Projekte aus allen denkbaren Bereichen finanziert werden können. Auch Pim Betist, einer der drei Sellaband-Erfinder, ist noch im Crowd-Funding-Geschäft: Er hat unlängst mit Mitteln der niederländischen Regierung die Website „Africa Unsigned“ gestartet, die nach dem Sellaband-Prinzip afrikanischen Bands den Karriereeinstieg ermöglichen soll.

Und was macht Jana G.? Der fehlen noch 1.630,56 Euro. Ein einziger Believer, der gleich 400 Anteile zeichnet, und ihr Ziel wäre erreicht. Dafür wäre sie sogar bereit, dem Investor ein Abendessen zu kochen. Flug und Übernachtung sind allerdings ausdrücklich ausgeschlossen. Und, so Frau G., man möge noch beachten: „Ich bin Vegetarierin“.

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1 Kommentar

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  • D
    deviant

    " Immer mehr Menschen hören Musik, aber immer weniger sind noch bereit, dafür auch etwas auszugeben."

     

    So sehe ich das nicht, es sind nur immer weniger Menschen bereit, die horrenden Preise für allzu oft qualitativ minderwertige Massenware auszugeben.

    Es liegt hier nämlich ein klassischer Trugschluss vor, wenn die Musik der großen Labels mit "Kunst" identifiziert werden - der Begriff "Musikindustrie" macht das eigentlich sehr deutlich.

     

    Dasselbe gilt ja für zum Beispiel für Bekleidung: Niemand würde für einen Billigschuh von XY 1000€ ausgeben, für einen in Handarbeit von einem "Kunsthandwerker" gefertigten Schuh aber sehr wohl.

    Und gerade darin liegt die Hybris des Netzes: Für die Industrie, deren billige Massenware kaum jemand bezahlen will, ist es gefährlich, für ambitionierte Künstler ist es aber eine große Chance: Durch extrem billige Wege der Distribution und ebenso extrem hohe Reichweite des Mediums können wirklich gute Acts sehr leicht viel Geld verdienen, ganz ohne Label; es gibt ja bereits eine Zahl bekannter Acts die völlig ohne Label über das Netz großen kommerziellen Erfolg erreichten. Die wirklich Leidenden sind also nicht die Musiker, sondern deren Symbionten/Parasiten (wie man's nimmt): Die Labels.

     

    Das Lamentieren über "Raubkopierer" [sic!] ist darum eine rein konservatistisch geführte Pseudodebatte, die die kurze Epoche der Verindustrialisierung durch Major Labels und MTV in eine Zukunft retten will, die Musik wieder als Kunst begreift.

     

    Die Zukunft der Musik wird, das prophezeie ich, in kostenloser Verfügbarkeit der Musik, freiwilliger Bezahlung/Spende und verstärkten Live-Auftritten liegen. Die Labels werden dabei ihre Bedeutung verlieren und die Künstler wieder im Mittelpunkt der Musik stehen.

     

    Und das gilt nicht nur für die Musik; gut, dass die taz diesen Trend erkannt zu haben scheint, in der OpenSource-Szene, bei Wikipedia oder Wikileaks ist es ohnehin längst der Standart - auch wenn die aufgrund des NonProfit-Charakters sich vermutlich bisher nicht als Vorbild aufdrängen.