piwik no script img

Serbiens ArmeeMilitärstreit verschärft die Krise

Der Generalstabschef kritisiert den Verteidigungsminister heftig wegen der Armeereform. Präsident Tadic muss schlichten.

Zoff mit dem Verteidigungsminister ja, Militärputsch nein: Generalstabschefs Ponos. Bild: ap

BELGRAD taz Viele Serben ahnten schon, dass das kommende Jahr ihrem Land nichts Gutes bringen würde. Die Auflehnung des serbischen Generalstabschefs Zdravko Ponos gegen Verteidigungsminister Dragan Sutanovac vermasselte aber Staatschef Boris Tadic definitiv die bevorstehende Silvesterfeier. Ponos, 46, beschuldigte das Verteidigungsministerium, keine Strategie und kein Konzept für die Armeereform zu haben. Der Generaloberst behauptete, dass niemand wisse, wie für die Armee bestimmte Gelder verwendet würden, und griff über die Medien den Verteidigungsminister frontal an.

"Die Verteidigungspolitik funktioniert nur symbolisch, man könnte sagen, es gibt sie nicht", erklärte Ponos. Er sah sich gezwungen, in die Öffentlichkeit zu gehen, weil in der Armee alles stillstehe, im Kabinett des Verteidigungsministers nur "gegenseitig Komplimente verteilt" würden, und nichts getan werde, obwohl der Generalstab auf die Probleme in den Streitkräften mehrmals aufmerksam gemacht hätte. Ponos wies jedoch jegliche Vorwürfe zurück, dass er eine Art Militärputsch anzettle, und beteuerte, dass die Sicherheit Serbiens nicht bedroht sei.

Verteidigungsminister Sutanovac hielt sich vorerst mit Erklärungen zurück. Er versicherte sich aber der Unterstützung der Regierung. Militärexperten meinen, dass einer der beiden wird zurücktreten müssen. Die endgültige Entscheidung darüber wird Staatschef Boris Tadic als oberster Befehlshaber der Streitkräfte treffen. Er dürfte sich auf die Seite seines Parteigenossen in der Demokratischen Partei (DS), Sutanovac, schlagen.

Der "westlichen Schüler" Ponos wurde an die Spitze der Armee gestellt, um die serbischen Streitkräfte den Nato-Standards anzupassen und sie auf den Beitritt zur Allianz vorzubereiten. Nachdem das serbische Parlament wegen der Kosovo-Frage eine Resolution über die Neutralität Serbiens verabschiedet hatte, ist diese Aufgabe hinfällig.

Die Armee ist die letzte serbische staatliche Institution, die von einer Krise erschüttert wird. In der serbisch-orthodoxen Kirche tobt ein recht unchristlicher Machtkampf um den Thron des greisen und kranken Patriarchen Pavle. Der ebenfalls über die Medien ausgetragene Streit der machthungrigen Bischöfe entsetzt fromme und belustigt neutrale Beobachter.

Traditionell hat die serbische Bevölkerung in Krisenzeiten immer das größte Vertrauen in die Kirche und die Armee. Nun stehen die beiden Institutionen entblößt da, die früher durch ihre Geschlossenheit einen fast mythischen und mystischen Status in der serbischen Gesellschaft hatten.

Das Parlament ist wegen der massiven Obstruktion der nationalistischen Opposition bereits seit Monaten komplett lahmgelegt. Wegen tausender Änderungsanträge zu Gesetzesvorschlägen der Regierung und unendlichen Diskussionen über eine angebliche Verletzung der Tagesordnung konnten weder die für die Fortsetzug der europäischen Integration notwendigen Gesetze noch der Staatshaushalt für das Krisenjahr 2009 verabschiedet werden.

Die täglich im staatlichen Fernsehen live übertragenen Parlamentssitzungen missbrauchen parlamentarische Streithähne für sich als politische Bühne. Selbst die Koalitionspartner in der Regierung mit ihrer hauchdünnen parlamentarischen Mehrheit sind dermaßen zerstritten, dass die Medien bereits über einen "Umbau" der Regierung oder Neuwahlen spekulieren.

Wirtschaftsminister Mladjen Dinkic platzte der Kragen, nachdem die Regierung gegen seinen Willen den serbischen Erdölkonzern NIS an die russische Gazprom zu einem "Spottpreis" verkaufte. Dinkic und seine Partei "G 17 Plus" warfen Staatschef Tadic vor, sich als Chef der Demokratischen Partei (DS) ständig in die Arbeit der Regierung einzumischen und sie dadurch zu behindern.

Die DS ist der Seniorpartner in der Regierungskoalition. Drei ungarische Abgeordnete brachten die Parlamentsmehrheit kürzlich ins Wanken, als sie sich weigerten für die Justizreform zu stimmen, die sie für nachteilig für die ungarische Minderheit in der Vojvodina hielten. Unterdessen drohen wegen eines neuen Kollektivvertrags unzufriedene Gewerkschaften mit Massenstreiks. Die Preise steigen, der Lebensstandard sinkt drastisch, der Dinar ist gegenüber dem Euro massiv abgewertet worden und die Notenbank konnte mit einer Milliarde Euro aus Devisenreserven einen rasanten Tiefflug des Dinars gerade noch einmal aufhalten. Und die Folgen der Weltfinanzkrise werden erst 2009 spürbar werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!