■ Serbien: Die Kosovo-Abstimmung erschwert eine politische Lösung: Die militärische Option
Vor zehn Jahren hat Slobodan Milošević das „Kosovo-Problem“ bereits schon einmal zur nationalen Existenzfrage stilisiert. Daß damals mit der rassistisch gefärbten antialbanischen Kampagne die nationale Welle in Serbien losgetreten wurde, kann man im nachhinein getrost als psychologische Vorbereitung für den Krieg in Kroatien und Bosnien-Herzegowina interpretieren. Die Kosovo-Kampagne damals stand auch für den Versuch, mit nationalistischer Agitation den „Sozialismus“, d.h. die Herrschaft der Nomenklatura in Belgrad, zu retten. Milošević hat vor zehn Jahren seine persönliche politische Macht durch Kosovo konsolidiert. Und unter dem Beifall der serbischen Nationalisten die albanische Bevölkerung an den Rand des Abgrunds gebracht.
So ist es heute wieder. Milošević hat gestern die Zustimmung der Serben gegen die „Einmischung von außen“ erhalten. Unter einem Regime, das durch den wirtschaftlichen Niedergang gebeutelt ist, in dem Korruption und Kriminalität blühen, zählt es nicht, daß für die Abhaltung eines Referendums laut Verfassung eine 30-Tage-Frist nach Ankündigung einzuhalten ist. Die angesichts der drückenden Lebensverhältnisse resignierende serbische Bevölkerung hat dies ohne größere Proteste hingenommen. Mit der Kosovo-Kampagne hat es Milošević wieder einmal geschafft. Das Volk ruft nicht mehr nur nach Brot. Jetzt steht die „nationale Existenz“ auf dem Spiel.
Mit dem Referendum wird die internationale Vermittlung zurückgewiesen. Noch schlimmer, mit ihm wird jede Verhandlungslösung, jede friedliche Regelung, sogar das Minimalgebot eines geordneten Nebeneinanders mit der kosovoalbanischen Bevölkerung unmöglich gemacht. Indem der Kampf jetzt nicht von der Polizei, sondern von der Armee geführt wird, verschwindet sogar die letzte Legitimation – nämlich die, gegen den „Terrorismus“ zu kämpfen. Die nationalistische Politik hat ihre Wiederauferstehung erlebt. Mit allen Risiken nicht nur für Albaner, sondern für die serbische Gesellschaft selbst.
Der Weg, der jetzt eingeschlagen ist, fordert den bewaffneten Widerstand heraus. Die Übergriffe auf die Bevölkerung lassen die kosovoalbanische Untergrundarmee als Befeiungsarmee erscheinen. Die auf friedlichen Widerstand und zivile Protesformen aufgebaute Politik von Ibrahim Rugova verliert an Boden. Die Spirale der Gewalt wird angeheizt. Die Armee baut im ganzen Land ihre Position auf. Die letzten Brücken werden abgebrochen. Milošević hat auf die militärische Lösung gesetzt. Erich Rathfelder
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