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Seltsamer Patriot

Wolfgang Harich, ein Kommunist auf freiem Fuß  ■ Von Christian Semler

„Ich liebe nur Stalin und dich“ – mit dieser in politisch korrekter Reihenfolge vorgebrachten Liebeserklärung umwarb ein exzentrischer junger Mann die Schauspielerin Hannelore Schroth. Wolfgang Harich, junger Kommunist, noch Philosophiestudent, aber schon einflußreicher Feuilletonist und Dozent für Marxismus-Leninismus an der Humboldt-Uni, war eine der großen Begabungen der SED, und er war ein Star in der noch ungeteilten intellektuellen Szene Nachkriegs-Berlins.

Der junge Mann stammte aus Königsberg, aus der Tradition des preußischen Liberalismus. Schon als Schüler hörte er in der Berliner Universität den Philosophen Nicolai Hartmann, war aber erschüttert, als der verehrte Gelehrte, auf die Kriegsgreuel der Wehrmacht im Osten angesprochen, nur antwortete: „Dieser Krieg ist mir als Problem zu speziell.“ Später zog Harich als Resümee der Unterredung, daß „dieser Mann, an dessen Füßen ich lag, ein Idiot gewesen ist“. Was ihn nicht hinderte, der Rezeption seiner Werke in der DDR das Wort zu reden.

Harich desertierte von der Wehrmacht, nahm Kontakt zu einer Berliner Widerstandsgruppe auf und trat nach der Befreiung „der Partei“ bei. Philosophiehistorie war seine Leidenschaft und Herder sein erstes, bevorzugtes Studienobjekt. Er widmete ihm seine Dissertation und leitete mit einem ellenlangen Aufsatz den Reprint der berühmten Herder- Biographie Rudolf Heyms ein. Diese Einleitung war von beträchtlichem Scharfsinn. Sie geizte nicht mit konformistischen Zitaten, erreichte aber so ihr Ziel, den von den Nazis mißbrauchten Herder als Philosophen der Aufklärung zu rehabilitieren und der „nationalen“ Linie der SED zu erschließen. Harich, der auf Parteilehrgängen auch dem Nationalbolschewisten Ernst Niekisch begegnete, hat hier seinen wichtigsten Denkanstoß erhalten.

Der Multifunktionär wirkte in der ersten Hälfte der 50er Jahre als Professor, als Lektor des Aufbau- Verlages und als Gründer und Herausgeber der Deutschen Zeitschrift für Philosophie. In den beiden letzteren Unternehmen sorgte er dafür, daß der Prozeß der Selbstkritik der „Stalinisten“ nach dem Tod des Tyrannen sich kristallisierte. Ernst Bloch und Georg Lukaćs wurden zu Katalysatoren reformerischen, wenngleich auf dem Boden des Partei-Staats verbleibenden Denkens. Harich war überzeugt, daß die Sowjetunion ein neutralisiertes, sozial fortschrittliches Deutschland dem SED-Staat vorziehen würde. Die Plattform, die er und seine Freunde ausarbeiteten, war ihrer ökonomischen Stoßrichtung nach auf „go slow“ ausgerichtet, sah rechtsstaatliche Garantien ebbenso vor, wie eine teilweise Parlamentarisierung des Regierungssystems. Ihr Clou war das Postulat, eine demokratisierte SED und eine wieder sozialistisch gewordene SPD müßten zur führenden Kraft der deutschen Wiedervereinigung werden.

Nennenswerte Gesprächspartner bei der SPD stellten sich nicht ein, und der sowjetische Botschafter Puschkin leitete die an ihn gesandte Plattform umstandslos an Ulbricht weiter. Harich wurde Opfer der politischen Hysterie nach der Niederwerfung der ungarischen Revolution, ihm wurde der Prozeß gemacht. Acht Jahre saß er im Zuchthaus. Wie die Histortiker Mitter und Wolle herausgefunden haben, war die Plattform Harichs mit Randglossen und Streichungen Ulbrichts versehen. Dachte der SED-Chef vorübergehend daran, sie für seine eigenen Zwecke zu nutzen? In der Untersuchung wie im Prozeß leistete Harich Selbstkritik und beschuldigte sich konterrevolutionärer Aktivitäten. Unverkennbar, daß Nikolai Bucharin seinem Auftreten die Folie lieferte. Daß Harich mitangeklagte Freunde, vor allem Walter Janka belastet hätte, konnte nie erwiesen werden. Prozesse nach der Wende endeten in der Substanz mit einem Sieg Harichs.

Das erste Mal zu Beginn der 70er Jahre, das zweite Mal zehn Jahre später versuchte Harich, in den „Parteibildungsprozeß“ der westdeutschen Linken einzugreifen, beide Male ohne jeden Erfolg. Paradoxerweise hätte er den maoistischen Gruppen und Grüppchen sogar einiges zu sagen gehabt. Harichs Intervention im Vorfeld der grünen Partei stand unter einem noch ungünstigeren Stern. Sein „Kommunismus ohne Wachstum“ galt den basisdemokratisch orientierten, friedlich und dialogisch gesinnten Grünen als ökostalinistisches Machwerk. Da der wegen eines Herzleidens bereits in der DDR Invalidisierte auf eine Rente nur hoffen konnte, wenn er die DDR-Staatsbürgerschaft aufgab, zog er, noch einmal Nonkonformist, nach Ostberlin zurück.

Harich erreichte in der DDR niemals mehr akademische Ehren. Als Lektor und Philologe machte er sich um die Edition vor allem der Werke Jean Pauls verdient. In seinen ästhetischen Konzeptionen kam er nie vom „Klassizismus“ des Lukács der mittleren Jahre los, eine Abhängigkeit, die ihn zuerst gegen Heiner Müller, dann, mit noch mehr Ingrimm, gegen die ( überaus zögernde) Eingemeindung Nietzsches ins kulturelle Erbe der DDR zu Felde ziehen ließ. Der zankende Alte warf sich nach der Wende erneut ins Getümmel, wandte sich gegen jede Art politischer Prozesse, trat der neugegründeten Kommunistischen Partei bei und feierte gleichzeitig – hierin sich selber treu – die wiedergewonnene Einheit Deutschlands. Am vergangenen Mittwoch ist er, 71 Jahre alt, seinem Herzleiden erlegen.

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