Seltene Erden: Den Rüssel im Luxusdreck
Seltene Erden sind die Allzweckwaffen unter den Metallen und als Rohstoff für Hochtechnologien bekannt. Nun sollen sie bei der Schweinemast helfen.
Von wegen selten. Die als „seltene Erden“ bezeichneten Hochtechnologiemetalle finden sich inzwischen überall – in unseren Handys, in unserer Umwelt und bald vielleicht sogar in unserem Essen. Das österreichische Unternehmen Treibacher Industrie AG hat einen Antrag bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eingereicht, um das Seltene-Erden-Element Lanthan (La) möglichst bald als Futtermittelzusatz vermarkten zu können. Was für die Produktion von Flachbildschirmen unentbehrlich ist, soll es in Zukunft also auch für die Fütterung von Mastschweinen sein.
Zugegeben, die Bezeichnung ist irreführend. Seltene Erden sind weder selten noch Erden, sondern eine Gruppe von 17 Metallen, die zur Herstellung von elektronischen Geräten eingesetzt werden. Elemente wie Scandium, Lanthan, Samarium und Gadolinium haben in der Vergangenheit, insbesondere als umkämpfter Rohstoff für moderne Technik, Schlagzeilen gemacht.
Ihre Förderung ist aufwendig – seltene Erden treten nicht, wie etwa Gold und Silber, in Reinform auf, sondern müssen erst aufwendig von anderen Mineralien getrennt werden. Die giftigen Chemikalien, die dabei zum Einsatz kommen, haben einen ebenso verheerenden Einfluss auf die Umwelt wie die dabei entstehenden radioaktiven Abfallprodukte.
Nicht viele Staaten sind bereit, sich ihre Hände derart schmutzig zu machen. Aktuell fördert deshalb nur China seltene Erden im großen Stil. 92 Prozent des Markts werden von hier aus abgedeckt, und das, obwohl sich gerade einmal 23 Prozent der weltweiten Vorkommen in der Volksrepublik befinden.
Weltweiter Handel
Der Aufwand lohnt sich: Mit seiner Monopolstellung dominiert China den weltweiten Handel von Elementen, die für die Herstellung moderner Technik unverzichtbar sind. Seltene Erden können nicht durch andere Rohstoffe substituiert werden, recycelt werden sie derzeit noch kaum; die Welt ist den chinesischen Preisen ausgeliefert.
Kein Handy, keine Erdölraffinerie und kein Windrad kommt momentan ohne seltene Erden aus. Doch manche Seltene-Erden-Elemente wirken nicht nur in moderner Technik Wunder, sondern auch im Magen-Darm-Trakt von Säugetieren.
„Lanthan wirkt im Darm von Ferkeln ungefähr so, wie die inzwischen glücklicherweise verbotenen Antibiotika“, sagt Walter Rambeck, Professor für Tierernährung an der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Lanthan, und damit derselbe Stoff, der tonnenweise in deutschen Windrädern verbaut wird. Er beeinflusst als Futterzusatz die Mikroorganismen im Darm und soll dazu führen, dass bis zu 15 Prozent weniger Futter benötigt wird. In China sind seltene Erden deshalb schon seit Jahrzehnten fester Bestandteil des dortigen Tierfutters. Sie sollen Tiere fetter und Truthahnbrüste unvergleichlich saftig machen.
Auf dem europäischen Kontinent ist man bislang eher skeptisch – als einziges Land hat bisher die Schweiz seltene Erden vor gut zehn Jahren als Futtermittelzusatz zugelassen.
Regulation der Nierenfunktion
Einen überzeugenden wissenschaftlichen Beleg dafür, dass seltene Erden für den Menschen ungefährlich sind, gibt es derzeit noch nicht. Im Gegenteil: Lanthan und andere seltene Erden sind häufig Wirkstoff von Medikamenten, die unter anderen die Nierenfunktion regulieren sollen. Sie haben also auch im menschlichen Organismus eine biologische Wirkung. Warum also sollte es eine gute Idee sein, Schlachtvieh mit diesen Substanzen zu füttern?
Der Beweis für die Unschädlichkeit von Lanthan soll nun ausgerechnet aus der Industrie kommen. Studien des österreichischen Unternehmens Treibacher Industrie AG, nach eigenen Angaben ein „international führender Player in den Bereichen Chemie und Metallurgie“, hätten ergeben, dass Lanthan nicht toxisch ist, weder bei oraler Aufnahme noch bei der Aufnahme über die Atemwege. Dafür habe das Element aber einen signifikanten Einfluss auf das Wachstum von Ferkeln.
Die Forschungsergebnisse sind Teil eines Antrags, den der Importeur von seltenen Erden mit Sitz im österreichischen Kärnten bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) eingereicht hat. Das Unternehmen plant offenbar, neben der Technologieproduktion bald auch den Agrarsektor mit Lanthan zu versorgen, und braucht dafür noch die Zulassung der Seltenen-Erden-Elements als Futterzusatz in der EU. Ihre Pläne sehen vor, dass einem Kilogramm Schweinefutter in Zukunft 250 Milligramm Lanthan beigemischt werden.
Für das Endprodukt im Supermarktregal könnte das tatsächlich keine Auswirkungen haben, sagt Walter Rambeck: „Nach dem aktuellen Forschungsstand werden seltene Erden nicht vom Körper aufgenommen, sondern komplett ausgeschieden.“
Gadolinium im Trinkwasser
Doch gerade diese Ausscheidung könnte zum Problem werden, sie ist es sogar schon jetzt. „Mittlerweile sind alle Flüsse in Deutschland und allen anderen Ländern mit einem hoch entwickelten Gesundheitssystem mit seltenen Erden kontaminiert“, sagt Michael Bau von der Jacobs-Universität in Bremen.
Schon Mitte der neunziger Jahre fand er das Seltene-Erden-Element Gadolinium (Gd) im Trinkwasser einiger Bezirke im Westen Berlins. Weitere Nachforschungen ergaben, dass es über den Einsatz in der modernen Medizin dorthin gekommen war. Gadolinium wird als Kontrastmittel für Magnetresonanztomografien (MRT) genutzt.
Dem Patienten wird vor der MRT eine gadoliniumhaltige Lösung injiziert. Das Element bindet sich besonders gut an Wasser und wird nach wenigen Tagen über den Urin wieder ausgeschieden. Es bindet sich sogar so gut an Wasser, dass auch moderne Kläranlagen nicht in der Lage zu sein scheinen, das Gadolinium wieder aus dem Abwasser zu filtern. Über die Flüsse und Seen Berlins findet das Gadolinium so seinen Weg in das Grundwasser und vom Grundwasser in die Wasserleitungen der Stadt.
Auf der Suche nach seltenen Erden in Gewässern stieß //www.jacobs-university.de/directory/mbau:Michael Bau über die Jahre in fast allen deutschen Flüssen auf Gadolinium. Auch in einer Wasserprobe, die er kürzlich zusammen mit Serkan Kulaksiz nördlich von Worms dem Rhein entnahm.
Industriestandort Rheinufer
Das Rheinufer, unweit vom inzwischen abgestellten Atomkraftwerk Biblis, ist nicht nur ein beliebtes Ziel für Angler, sondern seit den achtziger Jahren auch ein etablierter Industriestandort. Mehrere Werke haben sich dort angesiedelt und leiten ihre Abwässer in den Fluss. Bau und Kulaksiz machten hier in einen interessanten Fund: Neben Gadolinium wies die Wasserprobe zwei weitere Elemente der seltenen Erden auf: Lanthan und Samarium.
„Wir verwenden diese Stoffe seit den frühen achtziger Jahren“, sagt Stephen Addison, Geschäftsführer der Grace Holding GmbH, die die seltenen Erden durch ihre Abflussrohre in den Rhein leitet, „sie sind ein wichtiger Bestandteil von Katalysatoren, die in unserem Werk hergestellt werden.“
Dass die seltenen Erden in den Rhein gelangen, sei auf einen sogenannten Schlupf in den Filteranlagen des Werks zurückzuführen. Fünf Tonnen Lanthan, so lautet eine Schätzung von Michael Bau, die Stephen Addison nicht dementiert, werden so jedes Jahr von Grace in den Rhein geleitet. Fünf Tonnen, seit dreißig Jahren – und das obwohl die Forschung zu der Wirkung von seltenen Erden auf Organismen erst in den vergangenen zehn Jahren langsam an Fahrt gewonnen, obwohl Lanthan offensichtlich Auswirkungen auf den menschlichen Stoffwechsel hat.
„Grace verstößt gegen keine Auflagen“, sagt Addison, und er hat Recht damit. Der Ausstoß von seltenen Erden unterliegt keinem Grenzwert. Schließlich konnte seltenen Erden bislang keine umwelttoxikologischen Wirkungen nachgewiesen werden.
Auch Michael Bau räumt ein, dass die Konzentration von Lanthan bereits einen Kilometer hinter der Einlaufstelle so verdünnt ist, dass eine Kontaminierung der Umwelt oder gar des Trinkwassers äußerst unwahrscheinlich ist. Darum ginge es aber auch nicht: „Der Fall zeigt, dass wir neue Stoffe unkontrolliert in unsere Umwelt entlassen. Das ist nur der Anfang eines Trends, der sich gerade entwickelt.“ Sollte es Lanthan in die Futtertröge der Republik schaffen, könnte er schneller recht behalten als gedacht.
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