Selfmadepopstar aus Berlin-Gropiusstadt: Das teuflische Schlenkern

Jemek Jemowit ist ein musikalischer Verwandlungskünstler, der sich zwischen polnischer Protestmusik, Rap und Satanismus immer wieder neu erfindet.

Jemek Jemowit hier mit auf die Stirn geklebten pinken Teufelshörnern, sitzt auf einem Stuhl, im Hintergrund sind Blumen und Pflanzen zu sehen

Falco trifft Bowie in der Gropiusstadt: Jemek Jemowit, hier im Wedding Foto: Karsten Thielker

Jemek Jemowit sitzt mit übergeschlagenen Beinen in einem weißen Plastikstuhl im Freibad Humboldthain und raucht eine Zigarette. Es hat geregnet, die Luft ist feuchtwarm und das Freibad liegt verlassen da, niemand schwimmt. Nur ein paar Kinder, die gerade einen Tanzworkshop machen, rennen schreiend über die leere Wiese.

An Jemek fällt zuerst auf, das er ganz anders aussieht als in seinen Musikvideos, in denen er wiederum fast jedes Mal völlig anders wirkt, sodass man ihn auch von Video zu Video kaum wiedererkennt. Jemek erzählt von seinem aktuellen Track „Junger Gott“, der eigentlich vom Teufel handelt, also einem gefallenen Gott. „Wenn du als Mensch sagst: ‚Ich bin Gott‘, bist du eigentlich schon der Gefallene, der Teufel“, sagt er.

Wenn man „Junger Gott“ hört und das Video dazu sieht, muss man an Polanskis Film „Rosemary’s Baby“ denken, indem die Protagonistin unwissentlich ein Kind von Satan erwartet. Im Refrain singt Jemek Jemowit: „Wär ich ein junger Gott, ich hätte zwei Hörner, ich hätt gespaltne Hufe, ich würde dich ficken und nächstes Jahr käm mit Applaus aus deiner Vagina eine Göttin raus – ich bet sie an.“

Jemek und seine Band spielen „Junger Gott“ im Video in einem düsteren Raum, der aussieht wie ein verlassenes Schlachthaus – Neonlichtlampen, an den Wänden, dreckig-weiße Fließen. Der 32-Jährige ist in Weiß gekleidet, auf dem Kopf hat er eine rote Samtkappe mit kurzen dunkelblauen Teufelshörnern. Er steht am Mikrofon und tanzt zu den abgehackten Elektro-Rockbeats seiner Band, die in diesem Track irgendwie an eine Mischung aus Falco und David Bowie erinnern. Dazwischen sind Bilder geschnitten, auf denen er, am Hals mit einer Eisenkette gefesselt, über den Boden kriecht.

Spiel mit dem schlechten Ruf des Teufels

Trotz der gruseligen Ästhetik wirkt das Video kein bisschen unheimlich, sondern eher, als würde Jemek mit dem schlechten Ruf des Teufels spielen und sich über diejenigen lustig machen, die Angst vor Satan haben. „In ‚Junger Gott‘ geht es um Selbstliebe und Liebe, die man seinen liebsten Menschen geben sollte, statt sie in Gottesverehrung zu stecken. Egoismus ist ein Grundsatz des Satanismus“, erzählt Jemek.

Wenn er ­redet, lacht er immer wieder laut über das, was er sagt, und gestikuliert mit seiner Zigarette in der Luft. Seine Fingernägel sind rot lackiert, an einem Arm trägt er ein dickes Goldarmband mit Daddy-Anhäger, dazu eine Bluse in Lila und Schwarz mit Leopardenmuster, dunkle Jeans und beige Cowboystiefel.

Jemek Jemowit: „Das Satanische Album" (Cleopatra Records LA/Reverend Campanelli Records). DJ-Set am 31. 8. im Berliner Museum für Kommunikation.

Bei Recherchen für ein neues Projekt war er im vergangenen Jahr auf die „Satanische Bibel“ von Anton LaVey gestoßen, die ihm zur Inspiration und Grundlage für sein aktuelles Album „Das Satanische Album“ wurde. „Das Satanische Album“ klingt nicht, wie man vielleicht denken könnte, wie eine ehrfürchtigte Verbeugung vor Marylin Manson, sondern wirkt eher satirisch. Wenn Jemek von dem „Satanischen Album“ erzählt, erfährt man allerdings, dass hinter diesem lustigen Schein viel von der satanistischen Philosophie steckt, die vor allem Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre in Hollywood modisch war und momentan von Quentin Tarantino in seinem aktuellen Spielfilm aufgespießt wird.

„Ansatzweise ist Satanismus eigentlich nicht die böse Kontrareligion, als die er dargestellt wird“, erzählt Jemek. Vielmehr sei das eine Art naturfreundliche Philosophie, die davon ausgeht, das der Mensch keinerlei göttliche Eigenschaften habe. „Wenn man das aktuelle Weltgeschehen betrachtet, war diese Denkweise, dass Menschen wie alle anderen Lebewesen einfach Tiere sind, für mich einleuchtend. Niemand kann behaupten, wir hätten mit der Zeit irgendetwas dazugelernt.“

Protestmusik in der Tradition polnischer Musik

Jemek ist in Polen geboren und in der Gropiusstadt aufgewachsen. Teils sind seine Texte polnisch, teils deutsch. Die Rolle und der Einfluss, den der Katholizismus in der polnischen Gesellschaft hat, habe ihn in seiner Hinwendung zum Satanismus bestärkt, sagt er: „In Polen entsteht momentan eine sehr menschenhassende Kultur, die ihre Wurzeln auch in der Religion hat. Da wird viel kaputt gemacht, weil die Menschen ihre Liebe zu Gott vor ihre Mitmenschen setzen.“

Wie die Partei von Präsident Jarosław Kaczyński Polen schadet, war Gegenstand seines Albums „Wróg Publiczny No. 1“ (Staatsfeind Nr. 1) von 2016. Protestmusik, die in der Tradition polnischer Musik stehen sollte und „die ganze Scheiße rausschreit, die da gerade passiert“. In einem Video zu seinem Track „Kaczyński-Song“ zeigt Jemek Männer, die auf einer Toilette masturbieren und dabei Masken mit dem Gesicht von Jarosław Kaczyński tragen: „Ich habe eine Nacht lang ein iPad auf der Toilette im Bassy Club aufgestellt und davor diese Kaczyński-Masken verteilt, jeder, der Lust hatte, konnte sie sich überziehen und entweder so tun, als würde er masturbieren oder das echt machen. Alles wirkt ein bisschen dreckig, wie in einem Amateur-Porno.“

Als Jemek Jemowit das Video auf Face­book teilt, wird es binnen weniger Stunden gelöscht. Auch sein Vimeo-Account wird deswegen gesperrt, gerade kann man den Clip nur noch auf YouPorn sehen. Ansonsten gab es zu Jemeks Bedauern aber kaum Reaktionen – nur einmal wurde bei einem Konzert in Warschau der Stecker gezogen, als er den „Kaczyński-Song“ spielte.

Satire auf die Protzigkeit vieler Rapper

Vor dem Protestalbum hatte Jemek versucht Rapper zu werden und das Album „Jemek Jemowit ist Dr. Dres“ aufgenommen. In dieser Zeit trägt er Reebok-Träningsanzüge, Hoodies, Goldketten, grelle Sonnenbrillen und Cornrows in den Haaren. Die Texte sind Satire auf die Protzigkeit vieler Rapper, allerdings kam das Album bei Jemeks Fans nicht allzu gut an, erzählt er und muss lachen: „Mit diesem Rap-Album habe ich mir ein bisschen mein eigenes Grab geschaufelt, da waren fast alle Leute komplett raus.“ Er selbst findet das Album immer noch gut und steht weiterhin dazu.

Bei Jemek Jemowits Musik ist es ein bisschen so, als wäre jedes neue Werk eine neue Phase, in der er sich in eine völlig neue Version einer Kunstfigur von sich selbst verwandelt. Wie bei guten Schauspielern verändern sich je nach Figur sein Äußeres, seine Texte und Bewegungen so sehr, dass er wirkt wie ein völlig anderer Mensch. Richtig wiedererkennen kann man ihn von Phase zu Phase eigentlich nur an einem Vorderzahn, aus dem ein Stückchen abgebrochen ist.

Die Kunstfigur, die Jemek noch vor dem Rapper, dem Staatsfeind und dem Satanisten erschaffen hat, hieß „Tekk­no-Polo“. Tekkno-Polo ist, was man dem Namen nach vermuten kann, eine Mischung aus Techno und Disco-Polo. Letzteres wiederum ist eine Art polnischem Schlager, der sehr von Italo-Disco beeinflusst ist.

Trashig-anarchische Ausstrahlung von Disco-Polo

Tekkno-Polo ist ein Musikgenre, das Jemek selbst erfunden hat, es vereint gewissermaßen Berlin mit dem Polen seiner Kindheit: „Disco-Polo ist Anfang der 90er Jahre entstanden, als der Kapitalismus in Polen voll reingehauen hat und alle so ein riesiges Gefühl von Freiheit hatten“, erzählt er. An Disco-Polo habe ihn vor allem die trashige Ausstrahlung und eine gewisse Anarchie der Musiker fasziniert. In den Videos aus seiner Tekkno-Polo-Zeit sieht man ihn in pastelligen Oversizeanzügen vor Rosenhecken oder Yachten an der polnischen Küste stehen oder tanzend vor Straßenbahnhaltestellen im Schneematsch.

Bevor Jemek diese „Reise der Stilwechsel“, wie er sie selbst nennt, angetreten hat, war er musikalisch eher an Gothic und Rockabilly orientiert, weil er als Jugendlicher Fan von Popstars wie David Bowie war, außerdem habe er immer auf der Bühne stehen wollen.

Heute ist für ihn nicht so wichtig, mit Musik erfolgreich zu sein, ihm geht es um die Erfahrung, die er dabei macht. Als Fotos gemacht werden und der Fotograf von Jemek eine Art teuflische Horror-Pose verlangt, beklagt er sich: „Ich will jetzt aber nicht so ein komisches Klaus-Kinski-Foto.“ Dabei fällt auf, was der echte Jemek mit all den von ihm erfundenen musikalischen Alter Egos gemeinsam hat: eine exzentrische Nachlässigkeit, durch die alles, was er macht, auf eine Art beiläufig und unperfekt wirkt. So, als hätte er es nebenbei mit einem Schlenkern der Hand erledigt, während er schon über die nächste Kunstfigur nachdenkt. Für die er sich übrigens in eine „Satan trifft auf Blairwitchproject“-Figur verwandeln wird.

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