der westen in der defensive
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Es geht um mehr als nur die Ukraine

In den USA blockieren die Republikaner Hilfen für die Ukraine. Daran änderte auch der Besuch Selenskis in Washington nichts. US-Präsident Biden warnte vor einem „Weihnachtsgeschenk für Putin“

Aus Washington D. C. Hansjürgen Mai

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat während seines Besuchs in Washington die Gefahr betont, die ein Ende von US-Hilfsleistungen für sein Land bedeuten würde. „Wir kämpfen für unser Land und unsere Freiheit und auch für eure“, sagte Selenski während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit US-Präsident Joe Biden am Dienstag. Der ukrainische Präsident begann seine Aussagen auf Englisch, bevor er ins Ukrainische wechselte, um die Fragen von Journalisten zu beantworten. Wie seit nun fast zwei Jahren üblich, trug Selenski Pullover und Cargohose, als er mit Biden vor die Mikrofone trat.

„Wir haben gezeigt, dass unsere Tapferkeit und unsere Partnerschaften stärker sind als alle russischen Feindseligkeiten“, sagte der 45 Jahre alte Staatschef, dessen Land sich seit Februar 2022 im Krieg befindet. Es sei wichtig, dass die Ukraine, die USA, Europa und die gesamte freie Welt bis zum Ende des Jahres ein Zeichen der Geschlossenheit an Russlands Präsidenten Wladimir Putin sendeten.

Diese Geschlossenheit scheint aktuell zumindest im US-Kongress zu bröckeln. Denn ein zusätzliches Hilfspaket von mehr als 61 Milliarden US-Dollar für die Ukraine findet dort keine Mehrheit. US-Präsident Biden fordert die weitere Unterstützung von Kyjiw als Teil eines größeren Ausgabenpakets, das auch Geld für Israel, für die Sicherung der US-Südgrenze mit Mexiko und für humanitäre Zwecke enthält. Sollte es den Abgeordneten und Senatoren im Kongress nicht gelingen, dieses Hilfspaket zu verabschieden, dann wäre es das größte Weihnachtsgeschenk, das sie Putin geben könnten, sagte Biden, als er Selenski im Weißen Haus willkommen hieß. „Putin rechnet damit, dass die Vereinigten Staaten die Ukraine im Stich lassen werden. Wir müssen ihm das Gegenteil beweisen“, erklärte er später. Sollte es nicht gelingen, Putin aufzuhalten, dann gefährde dies die Freiheit allerorts. Die US-Regierung verkündete gleichzeitig eine neue Lieferung von Militärausrüstung in Höhe von 200 Millionen Dollar an die Ukraine. Das Geld ist Teil der etwa 111 Milliarden Dollar, die der US-Kongress bereits seit Kriegsbeginn genehmigt hatte. Dieses Geld wird laut Regierung allerdings zum Jahresende auslaufen. Republikaner verlangen im Gegenzug für neue Hilfsmittel eine verschärfte Grenzpolitik, um Migranten an der US-mexikanischen Grenze abzuwehren. Demokraten haben diese Forderung bislang als überzogen zurückgewiesen.

Noch vor seinem Treffen mit Biden im Weißen Haus war Selenski deshalb im US-Kongress zu Gast. Dort traf er sich mit Senatoren und hatte ein Vieraugengespräch mit dem erzkonservativen Republikaner Mike Johnson. Der spielt als Sprecher des US-Repräsentantenhauses eine entscheidende Rolle im Streit über weitere Hilfsmittel für die Ukraine.

„Die Biden-Regierung verlangt zusätzliche Milliarden ohne jegliche Kontrolle und ohne klare Strategie, den Krieg zu gewinnen“, sagte Johnson, der das Sprecheramt erst seit Ende Oktober bekleidet, nach seinem Gespräch mit Selenski.

Innerhalb der Republikanischen Partei existieren viele weitere skeptische Stimmen. Der Abgeordnete Byron Donalds aus Florida erklärte, dass Biden genau wisse, was er tun müsse, um das Paket durchzubringen: „Sichere die Grenze, dann können wir reden“, sagte Donalds.

Der texanische Abgeordnete Chip Roy vom rechten Flügel der Republikaner machte klar, dass Selenskis Besuch für ihn und viele seiner Kollegen keinen Unterschied mache. „Mir ist es völlig egal, ob Selenski hier ist oder nicht. [Der Präsident] hat die fundamentale Aufgabe, die Grenze der USA zu sichern.“

Auch der republikanische Senator James Lankford, Verhandlungsführer seiner Partei im Senat, zeigte sich unbeeindruckt von Selenskis persönlichem Appell. Er erklärte gegenüber Journalisten, der ukrainische Präsident könne nichts tun, um Lankfords Position in den aktuellen Verhandlungen zu ändern.

Biden erklärte, in einer Demokratie brauche es Kompromisse und er sei in der Grenz- und Einwanderungspolitik dazu bereit. Selenski selbst nannte seine Gespräche im Kongress produktiv. Doch Worte allein reichen nicht. Für ihn und die Ukraine sind Taten ausschlaggebend.

Ob er mit seiner Reise nach Washington verdeutlichen konnte, wie enorm wichtig die anhaltende Unterstützung der USA für die Ukraine ist, bleibt fraglich. Dem Kongress bleiben noch ein paar Wochen, um klare Zeichen an die Ukraine, Russland und all seine Verbündeten zu senden, dass auf Amerika trotz aller internen politischen Querelen noch immer Verlass sei.

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