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Selbstverteidigung in IsraelIm Schlagen sind sie sich gleich

In Israel kämpfen Frauen aktuell wieder um ihre Rolle. Auch sehr handfest. Jüdische Trainerinnen lehren Palästinenserinnen, sich zu verteidigen.

Klöng! Palästinensische Frauen lernen, sich selbst zu verteidigen. Bild: Micha Fattal

JERUSALEM taz | "Sieh dich um! Er hat mich angegriffen! Nein! Keine Gewalt!" Jedes Mal, wenn eine der zehn Frauen einen Angreifer erfolgreich in die Flucht oder K.o geschlagen hat, rufen die anderen Kursteilnehmerinnen mit ihr und den Trainerinnen im Chor diese Worte.

Es gibt auch eine Choreografie dazu. Der ausgestreckte Arm hilft dem Blick, die Umgebung nach potenziellen weiteren Feinden oder helfenden Freunden abzusuchen. Dann der Blick auf den Boden, wo der Niedergestreckte womöglich noch liegt: Er war der Verursacher der Gewalt. Dann wird mit dem Fuß kräftig aufgestampft und laut "Nein" gerufen, damit das Adrenalin in den Boden geleitet wird.

"Es ist wichtig, dass es eine einstudierte Routine gibt, der man folgen kann, wenn man angegriffen wird. Und diese Frauen sind noch weniger als andere gewöhnt, laut ,Nein' zu sagen und ihre Grenzen zu verteidigen", erklärt Trainerin Céline später.

Es ist die letzte Unterrichtsstunde eines fünfwöchigen Kurses in Selbstverteidigung von Frauen für Frauen in Wadi Joz in Ostjerusalem. Die Trainerinnen sind jüdisch, die Teilnehmerinnen Palästinenserinnen. Für manche von ihnen ist es bereits der zweite Kurs, an dem sie teilnehmen, und diesmal sind auch richtige Männer als Angreifer dabei.

Kräftig in die Eier

Bedrohlich wirken sie vor allem durch ihre Größe - und weil sie die Frauen wirklich bedrängen, Grenzen überschreiten und ihnen zu nahe kommen. Manche der Frauen fackeln nicht lange und strecken den Angreifer mit gezielten Schlägen und Tritten nieder.

Doch auch die schüchternen Frauen, die zuerst kichernd die peinliche Situation vor Zuschauern überspielen wollen, können schließlich nicht anders, als das Erlernte anzuwenden. Weichen die Angreifer, die durch ihren großen Helm ein wenig dem Kopfgeldjäger Boba Fett aus den Star-Wars-Filmen ähnlich sehen, nach einer lauten Ansage mit erhobenen Händen nicht zurück, wird kräftig auf den Kopf und in die Eier getreten und der Einsatz von der Gruppe mit Applaus honoriert.

"Ich bin sehr froh diesen Kurs gemacht zu haben. Zuerst wollte ich nur zusehen, aber jetzt ist es eine riesige Bereicherung meines Lebens, keine Angst mehr haben zu müssen", sagt Sahra, 37, aus Ostjerusalem und Mutter von drei Kindern. Ihr Mann hat sie unterstützt, als sie an dem Kurs teilnehmen wollte, aber ihrem Vater oder ihren Brüdern würde sie es nicht sagen. "Die sind der altmodischen Meinung, ich bräuchte das, was ich hier lerne, nicht. Schließlich sollte ich sowieso nie ohne Mann auf die Straße gehen."

Dabei kennt wohl jede Frau die Angst, sich in einer bedrohlichen Situation nicht wehren zu können. "Dann ist es wichtig, laut zu werden", sagt Trainerin Céline. "Wir wollen denen eine laute Stimme geben, die glauben, keine zu haben. In traditionellen Gesellschaften und Familien, ob jüdische oder arabische, werden Frauen dazu erzogen, passiv und dem Ehemann untertan zu sein. Sie sind fast nie alleine."

Das Szenario auf den Gummimatten in der kalten Gemeindezentrumsturnhalle ist schon ein wenig surreal, schließlich manifestieren sich an fast keinem Ort der Nahostkonflikte so deutlich wie in Ostjerusalem, das Palästinenserorganisationen als künftige Hauptstadt eines eigenen Staates beansprucht, seit dem Krieg von 1967 aber von Israel verwaltet wird, was wiederum international umstritten ist.

Allein dass Israelis aus West- nach Ostjerusalem kommen, ist selten - dass sie Palästinenserinnen in Selbstverteidigung unterrichten, ist dieses Jahr das erste Mal der Fall - und dies der zweite Kurs. "Wir hoffen, dass wir das im nächsten Jahr fortsetzen können", sagt Yudit, die die Non-Profit-Organisation El Halev mitgegründet und den Workshop ins Leben gerufen hat. "Uns fehlt allerdings noch ein weiterer Sponsor." Sie gibt Selbstverteidigungskurse für Frauen in ganz Israel, von Safed bis Eilat. Yudit sagt: "In 80 Prozent der Fälle werden Frauen von jemandem belästigt, den sie bereits kennen."

Lachen verboten

Vermutlich noch häufiger in geschlossenen religiösen Kreisen. Gerade dann ist es schwer, eine klare Grenze zu ziehen. "Frauen sollten auf ihre Intuition vertrauen", sagt die Trainerin Nina Anon, selbst gläubige Jüdin. "Was sie nicht okay finden, ist vermutlich auch nicht okay."

"Der Konflikt hat mit dem hier nichts zu tun", sagt der 35-jährige jüdisch-religiöse Ika. Er lässt sich hier regelmäßig verprügeln, aber zu Verletzungen kam es noch nie. Er ist ebenfalls gut trainiert, schließlich macht er Jiu-Jitsu. "Alphatiere, die andere Menschen nicht genug respektieren, gibt es in jeder Kultur und in jeder Gesellschaft. Es geht hier um Menschenrechte." Dieser Kurs sei gut gewesen, aber auch nicht viel anders als mit nichtarabischen Frauen. In der Härte der Schläge habe er zumindest keinen Unterschied feststellen können.

Nicht ohne meine Tochter

Auch Nina macht, wenn es um Gewalt gegen Frauen geht, keinen Unterschied, wo sie unterrichtet: "Wir sind alle Frauen", sagt sie. Und dass es harte Arbeit war, den Kursteilnehmerinnen das Lachen abzugewöhnen, wenn sie "Nein" sagen, und den Ton zu verändern, wenn sie etwas wirklich nicht wollen.

Auch Frauen, die bei der Armee waren, können in so einem Kurs noch etwas lernen. Denn auch bei den Starken, den Säkularisierten hat sie schon mehrfach miterlebt, dass die Frauen erst durch das Training in der Lage sind, ihr Gefühl der Wut oder der Angst auch auszudrücken. "Das liegt wahrscheinlich daran", sagt Nina, "dass wir alle als Frauen erzogen worden sind."

Am Ende des Kurses wird noch einmal das Video der ersten Stunde angesehen. Leise und kichernd reagieren die Frauen da noch auf ihre Angreifer. "Jetzt bin ich nicht mehr schüchtern", sagt Sahra stolz, und ihre Tochter soll auch so einen Kurs machen, wenn sie alt genug ist. Und wie war das für sie, von jüdischen Israelinnen unterrichtet zu werden? "Sie sind großartig."

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2 Kommentare

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  • E
    end.the.occupation

    Ein weiterer Artikel, der dazu dient Israel als einen 'normalen' Staat erscheinen zu lassen. Niemann passt sich Susanne Knaul, dem Israel-PR-Standard der taz, an.

  • E
    egal

    Ein sehr widersprüchlicher Artikel. Auf der einen Seite soll die Ausbildung in Wadi Joz in Ostjerusalem erfolgen, laut Überschrift aber in Israel.

     

    Und die jüdischen Trainerinnen, kommen die aus den USA, Bulgarien oder aus dem Staat Israel?

     

    Die Autorin mag von Annektionsgelüsten oder Unkenntnis geprägt sein, en Frauen in Wadi Joz aber sei diese Betätigung und Erfolg gegönnt.