Selbstmanagement und -vermarktung: „Du musst es wollen, Baby!“
Die neuen Konzepte in Schule und Beruf werden unter den Stichwörtern Mitbestimmung und Selbstverwirklichung angepriesen. Doch vieles ist nur Schein.
BERLIN taz | Die Anforderungen an die Arbeitenden haben sich in den letzten Jahren dramatisch verändert: Statt rigider Unterwerfung unter vorgegebene Arbeitsrituale ist Anpassung an die Vorgaben des Marktes gefragt. Eigeninitiative, Wettbewerbs- und Kundenorientierung, Selbstmanagement und Selbstvermarktung heißen die modernen Arbeitstugenden.
Der Soziologe Ulrich Bröckling von der Universität Freiburg hat hierfür den Begriff des „unternehmerischen Selbst“ geprägt. Wie die damit einhergehenden Techniken der Subjektivierung auf Bildungs- und Sozialisationsprozesse übergreifen, war das Thema einer Tagung, die Anfang März an der Freien Universität Berlin stattfand.
Die von der Neuen Gesellschaft für Psychologie unter dem Titel “Machtwirkung und Glücksversprechen“ organisierte Tagung spielte auf die beiden Pole an, zwischen denen sich Bildung in der bürgerlichen Gesellschaft bewegt: Einerseits dem Versprechen auf ein besseres Leben, andererseits der Rationalität der Macht, denen die Bildenden im Prozess der Bildung unterworfen sind.
Dabei konstatierte der Berliner Psychologe Christoph Bialluch einen Wandel von repressiven zu „produktiven“ Techniken der Macht. So setzten sich Methoden, bei denen sich die Betroffenen verpflichteten, bestimmte Ziele zu verfolgen und sich dabei selbst zu kontrollieren, immer mehr durch.
Wie dieses Konzept in der Schule umgesetzt wird, machte der Kinder- und Jugendlichentherapeut Uwe Findeisen deutlich. Unter dem Vorwand, dass sie den Schülern eine individuellere Art des Lernens ermöglichen, transportieren manche alternativen Lernmethoden neoliberale Techniken der Selbstformierung in den Unterricht.
Mitbestimmung und Benotung
Exemplarisch lässt sich das an der Arbeit mit Portfoliomappen zeigen, die als neue Art der Leistungsbewertung dienen. Dabei stellen SchülerInnen eine Auswahl ihrer Arbeiten zusammen und wirken gleichzeitig bei der Festlegung der Beurteilungskriterien und der Einschätzung der eigenen Leistung mit. Damit soll eine stärkere Mitbestimmung der Lernenden ermöglicht werden. Letzten Endes bestimmen aber die Lehrenden, wie das Portfolio benotet wird.
Ähnliche Prozesse scheinbarer Selbstevaluation finden sich auch in einer Sphäre, die man gemeinhin nicht mit Bildung assoziiert: Auch in Castingshows werden die Kandidatinnen und Kandidaten permanent aufgefordert, die eigene Leistung zu bewerten. Dies gilt auch für die Model-Castingshows, die die Berliner Erziehungswissenschaftlerin Andrea Nachtigall untersuchte.
Sie bieten ihren Rezipientinnen, meistens Mädchen in der Pubertät oder Vorpubertät, Rollenmodelle zur Ausformung der eigenen Identität. Zwar bedienen sie traditionelle Geschlechterstereotype, so müssen die Kandidatinnen schön, schlank und heterosexuell sein, gleichzeitig zeigen sie aber scheinbar einen spezifisch weiblichen Weg zu beruflicher Professionalität. Gutes Aussehen allein genügt dabei nicht. Vielmehr wird, so Nachtigall, „die Arbeit am Ich als Weg zu einem neuen Leben“ vorgeführt.
Schön. stark und erfolgreich
So müssen die Kandidatinnen verschiedene „Challenges“, zum Beispiel Shootings in schwindelerregender Höhe oder Eiseskälte, bewältigen. Über das in Model-Castings vermittelte Versprechen, als Frau zugleich schön, stark und erfolgreich sein zu können, wird gleichzeitig eine neoliberale Leistungsmoral transportiert.
Heidi Klums Parole „Du musst es wollen, Baby!“, suggeriert, dass der Traum vom beruflichen Aufstieg bei entsprechendem Einsatz jederzeit möglich ist. Wie in den von Bröckling beschriebenen Qualitätssicherungsprozessen großer Konzerne sind die Kandidatinnen dabei einem Rundum-Feedback ausgesetzt: Nicht nur die eigene Leistung, sondern auch die der Mitbewerberinnen wird ständig der Bewertung unterzogen.
Dabei erwerben sie Kompetenzen, die auch jenseits einer Model-Karriere von manchen Arbeitgebern gern gesehen werden: zum Beispiel mit Konkurrenz umzugehen und demütigende Kommentare stumm zu ertragen.
Kompetenz udn Atomangst
Weitere Themen des Kongresses waren zum Beispiel Psychotherapieforschung, interkulturelle Kompetenz oder Atomangst, wobei sich das Thema Glück als roter Faden durchzog.
Dass zu viele Handlungsoptionen eher unglücklich machen, zeigte der Beitrag von Josua Handerer, der über die „Quarter-Life-Crisis“ referierte und sich in einer Eigenanamnese „1982 geboren, ledig, Doktorand“ zugleich als Prototyp für das Störungsbild anbot. Er beschrieb die psychischen Nöte von knapp Dreißigjährigen, die oft kurz vor oder nach dem Ende ihrer Ausbildung eine dramatische Lebenskrise erfasst.
Die Betroffenen plagen tiefsitzende Ängste, sich falsch zu entscheiden, und ein Selbstbild, das zwischen Größenfantasien und Kleinheitsgefühlen schwankt. „Anstatt unser Leben aktiv zu gestalten, befürchten wir es zu verpassen. Anstatt uns selbst zu verwirklichen, quält uns die Angst, uns zu verfehlen“, beschreibt Handerer den typischen Gemütszustand.
Leistungsideale der Moderne
Was als Luxusproblem von Langzeitstudenten und Viva-Moderatorinnen erscheint – auch Sarah Kuttner hat ein Buch zum Thema verfasst –, hat jedoch einen ernsten Hintergrund. Es zeigt die Kehrseite des unternehmerischen Selbst, das unter dem Druck der Ansprüche an die eigene Person zum „erschöpften Selbst“ mutiert, von dem der französische Soziologe Alain Ehrenberg spricht.
Er versteht darunter eine Depression, die durch die Leistungsideale der Moderne ausgelöst wird. Dazu passt, dass depressive Störungen unter Schülern, Studierenden und jungen Erwachsenen stark zunehmen. Das könnte auch damit zusammenhängen, dass diese anders als ihre Vorgängergenerationen das neoliberale Credo „Du kannst es schaffen, wenn Du wirklich willst!“ schon früh verinnerlicht haben.
So wird Erfolg als persönliches Verdienst und Scheitern als persönliches Versagen verstanden. Mit einem solchen Erklärungsmuster sind jedoch Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit vorprogrammiert. Sie sind solchen Gefühlen viel stärker ausgesetzt als diejenigen, die glauben, dass Misserfolg auf äußere – zum Beispiel gesellschaftliche Ursachen – zurückzuführen ist.
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