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Selbst eingebrockt, Herr Schröder

Sechs Wochen vor der Wahl steigt die Zahl der Arbeitslosen auf 4,047 Millionen. Das sind zwar 90.000 weniger als in Helmut Kohls letztem Regierungsjahr. Doch der Kanzler hatte Besseres versprochen: nur noch 3,5 Millionen Erwerbslose

BERLIN dpa/taz ■ Bundeskanzler Gerhard Schröder gab sich gestern kleinlaut: „Die Zahlen sind nicht gut. Das kann man gar nicht bestreiten.“ Und selbst dieses Eingeständnis war noch euphemistisch. Denn die Arbeitsmarktzahlen könnten kaum schlechter sein für die Bundesregierung. Knapp 4,047 Millionen Menschen waren im Juli erwerbslos, wie die Bundesanstalt für Arbeit gestern bekannt gab.

Diese Zahl ist weit weg von jenem legendären Versprechen, das Schröder am Wahlabend 1998 gab: Er werde die Arbeitslosenzahl in Deutschland halbieren. Später korrigierte er sich und peilte 3,5 Millionen Erwerbslose an. Und nun dieses Desaster: Im Juli trennten die Regierung Schröder nur noch 90.000 Arbeitslose von den Statistiken der Ära Kohl. Da hilft es kaum noch, dass die SPD an ihre eigene Ehrlichkeit erinnert. „Wir machen keinen ABM-Wahlkampf wie Kohl“, trumpfte SPD-Generalsekretär Franz Müntefering gestern auf. „Wir manipulieren keine Statistik.“ Und akribisch rechnete er vor, dass die Kohl-Regierung 1998 kurz vor der Wahl 250.000 Arbeitslose mit einem ABM-Job versorgte, um die Statistik zu schönen.

Aber auch die CDU hat einen Generalsekretär, der gerne rechnet. Also erinnerte Laurenz Meyer gestern daran, dass jedes Jahr etwa 200.000 ältere Menschen den Arbeitsmarkt verlassen, für die keine Jugendlichen mehr nachwachsen. Das Ergebnis seiner Kalkulation: Schon allein aus demografischen Gründen hätte die Zahl der Arbeitslosen in den letzten vier Jahren eigentlich um mindestens 800.000 Personen sinken müssen.

War diese Schlacht der Zahlen erwartbar, so überraschte eine andere Auseinandersetzung. Sie fand im Regierungslager statt. Die Bundesanstalt für Arbeit ging gestern davon aus, dass sie mehr Geld vom Bund benötigt als bisher eingeplant. Chef Florian Gerster prognostizierte einen Bedarf von 3,5 Milliarden Euro; bisher hat Finanzminister Hans Eichel nur zwei Milliarden Euro vorgesehen.

Prompt dementierten Finanz- und Arbeitsministerium. Es bleibe bei zwei Milliarden Euro. „Abgerechnet wird erst am Ende des Jahres“, sagte eine Sprecherin. Und die Regierung erwarte, dass die Konjunktur im zweiten Halbjahr anspringt. Zudem hofft man, dass die jüngsten Tarifabschlüsse mehr Sozialbeiträge in die Kassen spülen.

Diesen Konjunkturoptimismus kann man sich bei der Bundesanstalt für Arbeit nicht erklären, kam doch der eigene Verwaltungsrat zu wenig erfreulichen Prognosen. Aber man will die Differenzen nicht weiter verschärfen und beschränkt sich auf die Anmerkung: „Das können wir nicht kommentieren.“

Ob dieses Gefeilsche um 1,5 Milliarden Euro vielleicht etwas mit den EU-Stabilitätskriterien zu tun haben könnte? Aber überhaupt nicht! Das sagte jedenfalls gestern ein Sprecher des Finanzministers: „Wir kalkulieren mit entsprechenden Schwankungen im Haushalt.“

Florian Gerster macht gestern auch deutlich, dass ein scheinbar innovatives Arbeitsmarktinstrument bereits weitgehend gescheitert ist: die Vermittlungsgutscheine. Sie waren nach dem Skandal um die Statistiken der Arbeitsämter eingeführt worden – und sehen vor, dass sich Erwerbslose nach drei Monaten auch an Privatvermittler wenden können. Zwar seien inzwischen 88.000 Vermittlungsgutscheine ausgegeben worden, so Gerster. Aber nur 3.046 wurden davon bisher eingelöst. Das bedeutet: Nur in diesen seltenen Fällen wurde eine Beschäftigung gefunden. „Das ist natürlich nicht berauschend“, meinte Gerster. Dennoch wollte er nicht auf die Vermittlungsgutscheine verzichten: „Bis zum Jahresende muss man schauen, ob man vielleicht noch nachsteuern muss.“

Kanzlerkandidat Edmund Stoiber hat offensichtlich aus dem Debakel der Schröder-Regierung gelernt. Er war gestern vorsichtig genug, nichts Konkretes zu versprechen. Für den Fall eines Wahlsieges der Union kündigte er nur eine „Stimmungswende“ an. ULRIKE HERRMANN

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