: Selbst die Schweiz ist Billigland
Seeleute und Hafenarbeiter wollen Billigflaggenschiffe boykottieren ■ Von Magda Schneider
Die Gewerkschaft Öffentliche Dienste Transport und Verkehr ÖTV holt auch in diesem Jahr wieder zum Schlag gegen Billigflaggenschiffe aus. Im Rahmen einer europäischen Aktionswoche der Internationalen Transportarbeiter Förderation (ITF) in 26 Seehäfen spüren auch in Hamburg, Bremen Kiel und Lübeck ITF und ÖTV Inspekteure ausgeflaggte Schiffe auf, diese werden dann von den zehn Aktionstrupps aufgesucht, um einen ITF-Heuervertrag abzuschließen oder die Pötte mit Unterstützung der Hafenarbeiter notfalls zu blockieren. „Der Boykott ist ein legales und erprobtes Kampfmittel“, erklärt ÖTV-Seehafen-Experte Manfred Rosenberg gestern zum Auftakt die Maßnahme. „Wie dringend notwendig das ist, hat die Ausflaggung der „Europa“ von Hapag Lloyd nach den Bahamas gezeigt“, ergänzt der ÖTV-Schifffahrtsexperte Dieter Benze.
Es ist nicht die erste Aktion dieser Art. Bereits 1996 gelang es der ÖTV und ITF in deutschen Seehäfen durch Boykotts, 25 Reeder zum Abschluß eines ITF-Heuertarifvertrages zu bewegen. Bei Aktionen in 1997 kapitulierten sogar 90 Schiffseigner vor der ÖTV und ITF.
Trotzdem hält die Ausflaggungswelle laut Dieter Benze unvermindert an. So würden schon heute 800 deutsche Schiffe unter Billigflagge fahren, 700 sind im deutschen Zweitregister registriert, wo ausländische Seeleute unter Heimatlohnbedingungen anmustern mussten. Während ein Matrose nach den ohnehin schon nicht üppigen ITF-Bedingungen 1.200 Dollar verdient, bekommen die Seeleute auf Billigflaggenschiffen maximal 500 Dollar inclusive aller Überstunden.
Auch das Risiko ist höher: So hat eine jüngste Studie ergeben, dass auf Schiffen unter Billigflagge die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle doppelt so hoch war wie auf normalen Schiffen. Dabei ist die Erfassung von Arbeitsunfällen auf derartigen Schiffen ohnehin schwer: „Wenn ein Filippino verunglückt“, berichtet Benze aus Erfahrung, „wird der nächste Hafen angelaufen und er ins Flugzeug nach Haus gesteckt.“
Aber nicht nur die miserablen Heuern und Arbeitsbedingungen sind ITF und ÖTV ein Dorn im Auge, sondern stellen diese Schiffe stellen aus ÖTV-Sichtauch eine Gefahr für die Umwelt da. So verzeichneten 1998 die Billigflaggenstaaten Panama (12), Belize (10) und Bahamas (6) und St. Vincent (6) sowie Zypern (6) die höchste Zahl an Schiffstotalverlusten. Schiffe unter „Schattenflagge“ sind zudem häufig wegen technischer Mängel, aber auch aus vorsätzlichen Motiven für Ölverschmutzungen verantwortlich „An den 36 schlimmsten Ölkatastrophen seit 1963 waren 17 Billigflaggentanker beteiligt“, rechnet Benze vor.
Nach Angaben Benzes zeichnen sich aber noch andere Ausflaggungsphänomene ab. Da es zunehmend mehr internationale Abkommen über Fangverbote bedrohter Fischarten gibt, gehen nun nationale Fischfänger dazu über, ihre Schiffe auszuflaggen. Benze: „Unter Billigflagge gibt es keine Kontrolle.“ Und auch Binnenreedereien würden zunehmend ihre Rheinschiffe unter die Billigflagge der Schweiz und Luxemburg zu stellen. Um einen Vorgeschmack auf ihre Arbeit zu bekommen, nehmen deshalb erstmals zwei Schweizer ITF-Inspekteure an den Aktionen im Hamburger Hafen teil.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen