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Seifenoper um PräsidentenwahlWahlchaos in der Musikhochschule Hannover

Die Musikhochschule Hannover braucht einen neuen Präsidenten. Vier Gerichtsverfahren gab es schon. Nun strebt der Wissenschaftsminister das fünfte an.

Macht gerade mehr Theater als Musik: Die Musikhochschule in Hannover ringt um die Besetzung des Präsidentenamtes Foto: Bernd Schwabe/Wikimedia Commons/CC-BY-3.0

Hannover taz | Er schätze das nationale und internationale Renommee der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTMH), versichert Niedersachsens Wissenschaftsminister Falko Mohrs (SPD) immer wieder. Deshalb versuche er es ja zu schützen. Aktuell glänzt die Hochschule allerdings weniger mit der Ausbildung von Spitzenmusikern, Schauspielern oder Pädagogen als mit der Produktion einer epischen Seifenoper rund um ihre Präsidentenwahl.

Begonnen hat die Geschichte im Sommer 2023. Die Amtszeit der bisherigen Präsidentin Susanne Rode-Breymann sollte im März 2024 enden. Daher wurde bereits 2022 eine Findungskommission für ihre Nachfolge eingesetzt. Im Juli 2023 präsentierte diese zwei Kandidaten, die sie für geeignet hielt: Einer kam von außen, nämlich der Musikpädagoge Philipp Ahner, einer hatte sich intern beworben, der Vizepräsident und Violinist Oliver Wille.

Nach einer hochschulinternen Vorstellung entschied der Senat – der als höchstes Gremium der Hochschule für diese Entscheidung zuständig ist – in geheimer Abstimmung. Er sprach sich ganz knapp, mit 7 zu 6 Stimmen, für Philipp Ahner aus. Der Hochschulrat äußerte sich zustimmend. In einer Pressemitteilung wurde die Neuwahl verkündet.

Klagen und Eilverfahren

Dann begann das Chaos. Es wurde Kritik an der Entscheidung des Senates laut, einzelne Hochschulangehörige beklagten, sie fühlten sich vom Senat nicht vertreten. Im August 2023 brach die Noch-Präsidentin dann das Berufungsverfahren ab. Eine eigens beauftragte Anwaltskanzlei habe Formfehler festgestellt, hieß es, und dass man angesichts der Proteste vielleicht besser noch einmal von vorn anfangen sollte.

Dies lehnte der Senat jedoch ab. Er wollte den Wahlgang wiederholen, um den Formfehler zu heilen – nicht aber das gesamte Berufungsverfahren neu aufrollen. Darauf wiederum wollte sich die Präsidentin nicht einlassen. Sie holte sich Rückendeckung aus dem Wissenschaftsministerium und brach das Berufungsverfahren ab.

Damit begannen die juristischen Auseinandersetzungen. Der Senat versuchte mehrfach im Eilverfahren, die Wahlwiederholung auf die Tagesordnung zu setzen, der fast gewählte Präsident Ahner klagte gegen die Verletzung seiner Rechte als Bewerber.

Schlacht der offenen Briefe

Was aber auch begann: eine Schlacht der offenen Briefe und Rundmails über den hochschulinternen Verteiler, die natürlich auch in der Presse landeten. Die Hannoversche Allgemeine Zeitung machte daraus praktisch einen Fortsetzungsroman. Zu Recht, denn was sich hier abzeichnet, wirkt im Kleinen genauso wie Polarisierungsprozesse im ­Großen.

Es werden Lager gebildet und die jeweils andere Gruppe dämonisiert, was das Zeug hält. Dem Ahner-Lager wird vorgeworfen, getrickst zu haben, vor allem auf Kosten der klassischen Musiker. Diese befürchten, unter einem Präsidenten Ahner, der ein ausgewiesener Musikpädagoge ist, nicht mehr ausreichend berücksichtigt zu werden. Außerdem sei Ahner im internationalen Spielbetrieb nicht gut genug vernetzt.

Dem Wille-Lager hingegen wird vorgeworfen, die Musikhochschule in eine Art besseres Konservatorium umwandeln zu wollen, keinen Sinn für die Wissenschaft und auch nicht für die anderen Abteilungen wie Theater und Medien zu haben. Beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, mit schmutzigen Tricks zu arbeiten und keine Rücksicht auf das Wohl der Hochschule zu nehmen.

Senat fordert Minister auf, Urteile zu akzeptieren

Bisher darf sich das Ahner-Lager allerdings ein wenig mehr im Recht fühlen: Vier Gerichtsentscheidungen gibt es mittlerweile – und alle halten den Abbruch des Berufungsverfahrens für unzulässig.

In der ersten Runde der juristischen Auseinandersetzung hatte Ahner zunächst gegen die Entscheidung des Präsidiums geklagt. Er bekam Recht, das Verwaltungsgericht Hannover stellte fest, dass das Präsidium nicht befugt war, das Verfahren abzubrechen, dies hätte allenfalls das Ministerium tun dürfen. Das Präsidium ging in Berufung, hatte aber auch vor dem Oberverwaltungsgericht keinen Erfolg. Wieder wollte der Senat die Wahl wiederholen. Doch diesmal intervenierte das Ministerium und brach das Berufungsverfahren ab. Dagegen klagten sowohl der Senat als auch Ahner. Und bekamen zunächst Recht.

Das führte zu einer erneuten Schlacht auf dem Feld der offenen Briefe: Die Mehrheit des Senats forderte den Minister auf, die Gerichtsurteile zu akzeptieren und den Rechtsstreit nicht weiter zu verlängern.

Endlose Querelen gefährden Ausbildung

Studierende richteten einen ­Appell an Wissenschaftsminister Mohrs und die grüne Kultusministerin Julia Willie Hamburg, in dem sie auf die Gefährdung der Musiklehrerausbildung durch die endlosen Querelen hinwiesen.

Die Senatsminderheit antwortete mit einem Brief, in dem sie die Qualifikation des Kandidaten Ahner infrage stellte und die Arbeit der Findungskommission kritisierte, die ihn ins Rennen geschickt hatte. Daraufhin meldete sich der ehrenamtliche Leiter der Findungskommission verärgert zu Wort und sah sich seinerseits in den Dreck gezogen, obwohl er als Externer mit diesen hochschulinternen Scharmützeln nichts zu tun hatte.

Der Minister erhörte keinen von ihnen. Er will erneut vor das Oberverwaltungsgericht ziehen. Um Rechtssicherheit zu bekommen, wie er am Donnerstag im Landtag sagte. Dort hatte ihn die CDU-Opposition mit einer dringlichen Anfrage zur Rede gestellt.

Knapp, aber demokratisch legitimiert

Tatsächlich unterscheiden sich die bisher ergangenen Gerichtsentscheidungen in Nuancen. Vor allem geht es um die Frage, wie weit die Befugnisse des Senats gehen und in welchen Fällen das Ministerium ein Berufungsverfahren abbrechen darf und in welchen nicht.

Das ist auch einer der Gründe, warum sich die betroffenen Senatsmitglieder so hartnäckig weigern, klein beizugeben: Sie fühlen sich als Verteidiger der Hochschulautonomie und der Wissenschaftsfreiheit, als Mitglieder des höchsten Entscheidungsgremiums der Hochschule, das zu einer zwar knappen, aber demokratisch legitimierten Entscheidung gekommen ist.

Turnusgemäß muss ein neuer Senat gewählt werden, der am 9. April seine Arbeit aufnimmt. Ob sich dort eine Mehrheit für die Wiedereinsetzung des fast gewählten Beinahe-Präsidenten Ahner oder für ein völlig neues Verfahren finden wird, bleibt abzuwarten.

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