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Sehne für Sehne

■ Neu am Stadion: Eine Fußballerwade, hart wie Beton, aus der Bildhauerwerkstatt für die einzig wahren Werder-Fans

Enthüllung der „Beinarbeit“von Frank Lehmann und Georg Tabernig. „Interessanter Termin“, meint der Chef vom Dienst dieser kleinen Zeitung. „Von wem ist das Bein? Herzog? Labadia? Das will ich wissen.“Wird er aber nicht erfahren. Bei der neuen Skulptur am Ostkurventor des Weserstadions handelt es sich um den Phänotyp eines Fußballerbeins, allgemeingültig für alle Zeiten und jeden Ort.

Kraft strotzt wie bei Arno Breker. „Nein. Bitte nicht Arno Breker. Eher schon hat es was Comicartiges an sich“, meint die Urlaubsvertretung von Hans Kampa, demjenigen, der die Bildhauerwerkstatt der Justizvollzugsanstalt (JVA) betreut. Geballte Kraft ist immer Comic – oder Ketchup, jedenfalls nie ganz echt.

„Beinarbeit“wird jeden erfreuen, den Fan wie den Kunstinteressierten. Keine hermetische Hirngeburt, aber auch nicht eines dieser windelweichen, halbrealistischen Kompromißkunststücke vieler öffentlicher Orte. Dann schon lieber ganz naturalistisch, Sehne für Sehne. Toll. Die richtige Kunst am richtigen Ort.

Handwerklich müssen die Bildhauer einiges auf dem Kasten haben. Das Bein ist eine Zementarbeit. Das heißt: In Ton modellieren, einen negativen Gipsabdruck erstellen und dann gießen.

Die Schöpfer des Beins waren nicht bei der Enthüllung zugegen, einer hat noch keinen Freigang, der andere mußte arbeiten. Auskunft gaben an deren Stelle die Vertreter der in die Beinarbeit involvierten Institutionen. Am Skulpturensockel, in den Ziegelsteine der alten – schluchz – Ostkurve eingearbeitet sind, sind sie alle in Messing eingraviert: Mauern Öffnen e.V., die Bildhauerwerkstatt der JVA Bremen und Stiftung Wohnliche Stadt. Die seit 20 Jahren existierende Bildhauerwerkstatt sei so erfolgreich und so ausdauernd, weil es eben nicht um Therapie geht, sondern um die bildhauerische Arbeit, meint Rose Pfister von der Städtischen Galerie.

Warum aber beschränkt man sich dann bei der Beschriftung nicht auf Titel und Künstler, warum ordnet man das schöne Muskelpaket in den e.V.-Rahmen ein? „Die Bildhauerwerkstatt hat hier in Bremen keinen die künstlerische Leistung mindernden, pädagogischen Beigeschmack. ,Offene Mauern' nicht zu nennen, hieße etwas zu verschweigen.“Immerhin teilüberzeugend.

Am Rande der Enthüllung wird dem Auftraggeber „Fan Projekt e.V.“, den seit 15 Jahren agierenden Stadion-workern der Ostkurve, schnell noch mitgeteilt, daß jetzt bald der Graffiti-Schutzlack für die Backsteinwand geliefert wird. „Zweimal streichen, dann ist jede Farbe abwaschbar.“„Schön.“Kunst ja, aber bitte keine Schmierereien. bk

Die Bein-Skulptur ist ab sofort am Vorplatz der Ostkurve des Weserstadions zu sehen

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